Zielvereinbarungen – was ist das?
Ein wirksames Instrument für Behindertenverbände wie den DSB?
Matthias Keitzer, DSB-Referat Öffentlichkeitsarbeit
Der Begriff "Zielvereinbarungen"
Der Gesetzgeber kann und will nicht alle Details menschlichen Zusammenlebens mit Gesetzen und Verordnungen regeln. Insbesondere die Regeln, die sich auf den privaten Sektor auswirken, wie dies nun einmal in der Natur des freien wirtschaftlichen Handelns privater Wirtschaftsunternehmen liegt. Hier gilt der Grundsatz der "Vertragsfreiheit“.
Für diese Zwecke hat man das Instrument "Zielvereinbarung“ geschaffen, das als Vertrag zwischen Behindertenverbänden und Wirtschaftsunternehmen anzusehen ist.
Ziel
Rechtliche Grundlage ist das Behindertengleichstellungsgesetz, nicht zu verwechseln mit dem Antidiskriminierungsgesetz. § 5 des Behindertengleichstellungsgesetzes nennt die Voraussetzungen, die für das Erreichen einer Zielvereinbarung gegeben sein müssen:
Inhalt
Ziel des BGG ist das Erreichen von Barrierefreiheit. § 4 BGG gibt Aufschluss darüber, was mit Barrierefreiheit gemeint ist:
Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.
Beteiligte sind
- Behindertenverbände wie der Deutsche Schwerhörigenbund auf Bundesebene oder die Gliederungen des DSB wie Landesverbände (auf Länderebene) und Ortsvereine (auf örtlicher Ebene).
- Wirtschaftsunternehmen bzw. deren Verbände wie beispielsweise eine Hotelkette bzw. deren Hotel- und Gaststättenverband.
Verfahren
Behindertenverbände können Unternehmen oder deren Verbände zu Verhandlungen über Zielvereinbarungen auffordern. Dazu müssen die Behindertenverbände, sofern sie auf Bundesebene verhandeln, vom Sozialministerium des Bundes anerkannt sein. Die Anerkennung hat nach Maßgabe des BGG zu erfolgen, wenn ein Verband wie der DSB die Interessen seiner Mitglieder, also der Schwerhörigen und Ertaubten vertritt.
Die Aufforderung zu Verhandlungen wird im so genannten Zielvereinbarungsregister des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) registriert und im Internet auf der Homepage des BMAS – www.bmas.de – publiziert. Dies dient u.a. dazu, dass andere Behindertenverbände sich diesen Verhandlungen anschließen können.
Sollte innerhalb von vier Wochen kein anderer Verband den Verhandlungen beitreten wollen, müssen die Verhandlungen innerhalb von weiteren vier Wochen beginnen. Das aufgeforderte Unternehmen bzw. deren Verbände haben kein Recht, diese Verhandlungen abzulehnen.
Nach den bisherigen Erfahrungen war dies noch nie der Fall, da Unternehmen nichts mehr fürchten als schlechte Publicity. Somit sind die Verhandlungspartner mehr oder weniger "zum Erfolg verdammt“.
Allerdings wird von beiden Verhandlungsparteien ein hohes Maß an Kompetenz und Geduld gefordert. Daher können nur der geschäftsführende Vorstand oder von ihnen benannte Vertreter als Zeichnungsberechtigte für den DSB solche Verhandlungen führen.
Auf Länder- oder Ortsebene geführte Verhandlungen sollten in enger Absprache mit dem DSB-Landesverband und ggf. mit dem DSB-Bundesverband durchgeführt werden. Hier ist die Hinzuziehung der vorhandenen Kompetenzen der Landes- oder Bundesreferate des DSB wichtig und notwendig.
Die Zielvereinbarungsverhandlungen mit dem Hotel- und Gaststättenverband hatten beispielsweise zum Gegenstand, wie Hotels und Gaststätten Schritt für Schritt barrierefrei werden sollen. Zu diesem Zweck wurden auch Kontrollvereinbarungen getroffen.
Zusammenfassung
Mit dem Instrument "Zielvereinbarungen" hat der Gesetzgeber Behindertenverbänden wie dem DSB und deren Untergliederungen ein durchaus wirkungsvolles Mittel zur Durchsetzung der Interessen behinderter Menschen an die Hand gegeben. Allerdings werden die Verbände dadurch auch in einem nie zuvor gekannten Ausmaß – personell wie ideell – gefordert!
Zu den Wirtschaftsuntern nehmen zählen auch die privaten Fernsehsender. Hier sei die Frage erlaubt, wieso sie noch nicht aufgefordert wurden, für barrierefreies Fernsehen zu sorgen, sprich ihre Sendungen mit Untertiteln auszustrahlen.
- Das sind nur zwei Beispiele. Der DSB benötigt von den Mitgliedern weitere Hinweise und Vorschläge, wie und auf welchen Feldern Barrierefreiheit geschaffen werden sollte.
Carsten Ruhe, DSB-Referat Barrierefreies Planen und Bauen
Das Referat Barrierefreies Planen und Bauen im DSB hat in den vergangenen Jahren einige der inzwischen abgeschlossenen Zielvereinbarungsverhandlungen betreuen dürfen. Die Wirtschaftsverbände sind nach dem Behindertengleichstellungsgesetz dazu verpflichtet, derartige Verhandlungen aufzunehmen, wenn Behindertenverbände dies wünschen. Sie sind aber – nach den Worten des ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung, Karl-Hermann Haack – keinesfalls dazu verpflichtet, diese Verhandlungen auch mit einer entsprechenden Vereinbarung abzuschließen. Wenn eine Verhandlung erst einmal läuft, will man sich aber offenbar nicht öffentlich blamieren, und so endeten bisher alle Verhandlungen mit dem Abschluss einer Vereinbarung. Ob diese auch die Vorstellungen erfüllt, mit denen die Behindertenverbände die Verhandlungen zunächst begonnen haben, mag dahin gestellt bleiben. Es gibt durchaus Verbände und auch Politiker, die das Instrument der Zielvereinbarungen als einen "zahnlosen Papier- Tiger" bezeichnen. Woran liegt es, dass man häufig über das erreichte Endergebnis doch ein wenig enttäuscht ist?
Faktor Zeit
Eine der ganz wesentlichen Einflussgrößen bei der Qualität der Zielvereinbarungsergebnisse ist die Zeit, die man sich für die Verhandlungen und das Ausarbeiten der erforderlichen Maßnahmen gönnt. Hier gibt es – wechselweise auf beiden Seiten – immer wieder Vorstellungen über einen extrem kurzen Verhandlungszeitraum, der zu Beginn dadurch begrenzt wird, dass noch nicht alle Verhandlungspartner bei den ersten Sitzungen dabei sind, denn das Gremium muss sich erst konstituieren. Der ungünstig kurze Verhandlungszeitraum ergibt sich am Ende aber auch dadurch, dass einer der "Macher" auf Seiten des Wirtschaftsunternehmens in Ruhestand geht und damit für die weiteren Verhandlungen nicht mehr zur Verfügung steht. Oder dass die Verbände deshalb auf einen schnellen Abschluss drängen, weil sie z.B. an einem der nationalen oder internationalen Behindertentage ihre Unterschrift unter die Vereinbarung setzen möchten. Insbesondere die örtlichen Vertreter, für die es die erste Zielvereinbarungsverhandlung ist, sind in Bezug auf den Zeitbedarf "blauäugig".
Diejenigen, die aus den Erfahrungen anderer Verhandlungen einen längeren Verhandlungszeitraum fordern, werden dagegen als "Bremser" angesehen. Im Nachhinein stellen dann aber doch alle Beteiligten fest, dass man eigentlich mehr Zeit gebraucht hätte.
Faktor Personen
Im Behindertengleichstellungsgesetz wird gefordert, dass die Zielvereinbarungsverhandlungen von Vertretern der Spitzenverbände geführt werden sollen. Diese Forderung ist durchaus berechtigt, denn dadurch sammeln die Vertreter der Spitzenverbände einen Erfahrungsschatz für den Verhandlungsablauf und die "große Marschrichtung", die die örtlich ansässigen Verbandsvertreter gar nicht haben können. Diese haben aber häufig reiche Detailkenntnisse über örtliche Spezifika. Ein Verzicht auf Globalkenntnisse ist genauso schädlich wie ein Verzicht auf Spezialkenntnisse.
Für die Spitzenverbände führt dies zu erheblicher Arbeitsbelastung einzelner Personen, die wegen ihres Erfahrungsschatzes gern zu allen Zielvereinbarungsverhandlungen hinzugezogen werden. Gerade für die Ausarbeitung technischer Vorschläge zur Barrierefreiheit stehen nämlich in den meisten Verbänden nur wenige Personen zur Verfügung. Hier macht sich dann oft erneut der Zeitmangel bemerkbar, denn diese Personen haben eine Vielzahl von Terminen zu koordinieren und benötigen natürlich auch eine gewisse Zeitspanne für die Ausarbeitung der einzelnen Texte.
Faktor Geld
Wenn nur wenige Personen immer wieder zu Verhandlungen an verschiedenen Stellen im Bundesgebiet gerufen werden, so benötigen sie für diese Reisen nicht nur (zum Teil lange) Fahrzeiten, sondern diese Fahrten kosten auch Geld. Das können sich die kleineren Ortsvereine und Landesverbände aber oft gar nicht leisten, was dann dazu führt, dass der Betreuer/Berater des Spitzenverbandes die Reisekosten bisweilen aus der eigenen Tasche zahlt. Bei Beratungen im eigenen Bundesland und vielleicht auch noch im unmittelbar benachbarten mag dies vielleicht angehen. Wer aber z.B. aus Schleswig-Holstein für Verhandlungen z.B. nach Rheinland-Pfalz reisen soll (und das nicht nur einmal, sondern mehrfach), der kann dafür ein erkleckliches Sümmchen berappen.
Gut ist dann, wenn man für die eigentlichen Verhandlungen auf in der Nähe wohnende Mitarbeiter zurückgreifen kann. Diese werden sich aber mit dem Präsidium ihres Verbandes abstimmen wollen/müssen. Das wiederum funktioniert aber dann nicht, wenn bereits bei Beginn der Verhandlungen feststeht, an welchem Tag in nicht allzu ferner Zukunft die Unterschriften unter den Vertrag gesetzt werden sollen.
Ansprechpartner auf der anderen Seite
Einen ganz wesentlichen Anteil am Gelingen oder Misslingen der Verhandlungen haben natürlich auch die Verhandlungspartner "auf der anderen Seite des Tisches". Hier hat sich bisher bei den privaten Wirtschaftsunternehmen eine ausgesprochen große Aufgeschlossenheit gezeigt, die auch dort mit dem Bestreben verbunden ist, die Verhandlungen zu einem guten Ende zu führen. Dabei könnte es durchaus zu erheblichen Schwierigkeiten kommen, wenn die Geschäftsführung solche Mitarbeiter für diese Verhandlungen abstellen würde, die an dem Thema nicht interessiert sind, oder wenn die Gesprächspartner von einer zur nächsten Verhandlung ausgetauscht würden. Auch ein mangelhafter Rückhalt dieser Gesprächspartner in ihrem eigenen Unternehmen war bisher bei den privaten Wirtschaftsunternehmen nicht zu beobachten. Lediglich ein einzelnes, sehr großes und bundesweit operierendes Unternehmen hat es bisher geschafft, zu jeder Verhandlung aus den Fachabteilungen andere Sachbearbeiter zu senden.
Abstimmung der Verbände untereinander
Üblicherweise entstehen Zielvereinbarungsverhandlungen dadurch, dass ein Verband mit einem Unternehmen Verhandlungen über technische Fragen führt, die "schon lange einmal" einer technischen Klärung bedürfen. Es sind also bilaterale Verhandlungen zwischen einem Unternehmen und nur einem Verband. Irgendwann stellt man dann fest, dass die Ergebnisse dieser Verhandlungen einmal schriftlich festgehalten werden sollten. Erst zu diesem Zeitpunkt wird im Zielvereinbarungsregister angekündigt, dass man Zielvereinbarungsverhandlungen aufnehmen will (eigentlich kündigt man aber an, dass man schon kurz vor dem Abschluss steht). Innerhalb der nächsten vier Wochen können dann weitere Verbände auf den bereits kräftig "fahrenden Zug aufspringen". Sie haben – häufig wichtige – Ergänzungsvorschläge, und jetzt kommt die oben beschriebene Hektik in die Verhandlungen, weil ja die ersten Verhandlungspartner schon fast fertig waren. Hier bleibt es nicht aus, dass die ersten Verhandlungspartner die neuen als "Störenfriede" betrachten.
Andererseits haben die neuen Verhandlungspartner das Gefühl, die bisherigen hätten schon ALLES ohne sie bestimmt. Vieles davon ist tatsächlich schon "gelaufen", aber das liegt eben daran, wie solche Zielvereinbarungsverhandlungen entstehen.
Man kann/darf genau genommen weder dem einen noch dem anderen Vorwürfe machen. Die größte Schwierigkeit ist jetzt typischerweise die extrem kurze, noch verbleibende Zeit, um all die noch fehlenden Punkte nachzuholen, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die entstehenden Kosten und die Ergebnisse der Verhandlungen.
Gestaltung der Zielvereinbarungen
In mehreren inzwischen abgeschlossenen Zielvereinbarungen hat es sich bewährt, den juristischen Teil des Vertrages vom technischen zu trennen. Der reine Vertragstext ist zum Teil fast wörtlich aus anderen vorher abgeschlossenen Zielvereinbarungen übernommen worden.
Die technischen Vereinbarungen sind aber z.B. bei dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DeHoGa) andere als beim Baden-Airpark und dort wiederum andere als beim Sparkassen- und Giroverband oder bei der Ostseelandbahn. Man konnte auf diese Weise die wesentliche Arbeitskraft in die technischen Vereinbarungen stecken, während das Vertragsgerüst schon sehr schnell fertig war.
Wünsche für weitere Zielvereinbarungen
Wenn Verbände von Behinderten beabsichtigen, mit Wirtschaftsunternehmen Zielvereinbarungen zu schließen, so können sie durch Beachtung folgender Hinweise erheblich zum Gelingen und auch zu einem schlussendlich positiven Gefühl bei allen Beteiligten beitragen. Diese Hinweise sind aus den oben beschriebenen Erfahrungen bei der Betreuung mehrerer Zielvereinbarungen im Bundesgebiet abzuleiten.
1.Rechtzeitig und bereits vorab weitere Verbände, die möglicherweise an genau diesen Zielvereinbarungen interessiert sein könnten, über das Vorhaben informieren, damit alle Belange von vornherein berücksichtigt werden.
2.Auf eine gesunde Mischung zwischen Betroffenen aus der Region (die die Probleme kennen) und von Fachleuten aus den Spitzenverbänden (die einige Lösungen kennen) achten. Ein "fundiertes Halbwissen" ist häufig für sachgerechte Lösungen nicht ausreichend.
3.Das Wirtschaftsunternehmen um Übernahme von oder zumindest Beteiligung an den Reisekosten für die von weit her anreisenden Fachleute der Spitzenverbände bitten.
4.Den juristischen Teil des Vertrages von den technischen Regelungen trennen. Bei den technischen Regelungen nicht nur die Aufgabe benennen, sondern auch die Personen, die beim Wirtschaftsunternehmen für die Umsetzung und bei den Behindertenverbänden für die Beratung zuständig sind und zusätzlich auch den Zeitraum der Umsetzung festlegen.
Bei allen bisherigen Zielvereinbarungen sind Verhandlungen sehr harmonisch und ohne gegenseitige Anschuldigungen verlaufen. Die Behindertenverbände konnten immer wieder feststellen, dass bei den Wirtschaftsunternehmen zunehmend eine Aufgeschlossenheit für die Probleme und die daraus entstehenden Notwendigkeiten entstand. Hier hatten bisweilen die Behindertenverbände untereinander größere Schwierigkeiten im Umgang, weil vielen nicht klar war, dass andere Behinderte auch andere Bedürfnisse haben und dass diese Unterschiede nicht nur z.B. zwischen Sehgeschädigten und Hörgeschädigten bestehen, sondern dass auch Sehgeschädigte andere Bedürfnisse haben als Erblindete – und dass sich hier wiederum Früh- von Späterblindeten unterscheiden, dass im Bereich der Hörschädigung die Schwerhörenden von den Ertaubten und von den Gehörlosen zu trennen sind, dass aber auch längst nicht alle Rollstuhlfahrer genau dieselben Einschränkungen haben.
Aufgrund des sehr harmonischen Miteinanders bei den Verhandlungen hat kein Vertreter eines Behindertenverbandes der Gefahr nachgegeben, die "Scheuklappen der eigenen Behinderung" aufzusetzen und andere Behinderungsarten für möglicherweise weniger gravierend zu halten. Diesen freundlichen Umgangston untereinander sollte man auch bei weiteren Zielvereinbarungen beibehalten in dem Bewusstsein, dass die Wirtschaftsunternehmen bereit sind, für behinderte Menschen Maßnahmen durchzuführen, wenn man ihnen den Sinn der einzelnen Maßnahmen erläutern kann.
Wie werden die Verträge gelebt?
Während die Gespräche zu den Zielvereinbarungen und die Arbeiten an den Vertragstexten bis zur Unterschrift in allen bisher betreuten Fällen sehr intensiv verlaufen, gibt es über das, was nach der Unterschrift passiert, kaum Erkenntnisse.
Eine Überwachung für die Durchsetzung der vereinbarten Maßnahmen ist den Behindertenverbänden praktisch nicht möglich. So hat bisher noch nicht ein Restaurant oder eine Beherbergungsstätte das DeHoGa-Label zur Barrierefreiheit erhalten.
Auch beim Baden-Airpark war die Umsetzung der Maßnahmen für den Ausbau des Flughafens nur dadurch möglich, dass ein relativ zeitnaher Fertigstellungstermin vorgegeben war und dass die Geschäftsführung des Baden- Airparks sich verpflichtet hatte, die Reisekosten für die prüfenden Fachleute zu übernehmen.
Die Vereinbarung mit der Ostseelandbahn lässt Gutes erwarten, jedoch ist der Vertrag noch so neu, dass bisher kaum Zeit für eine Umsetzung war. Es bleibt zu hoffen, dass Zielvereinbarungen zukünftig mehr sind als prophezeite "zahnlose Papier-Tiger".
Norbert Merschieve, DSB, Vorsitzender des Länderrates
Mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG NRW) vom 11.12.2003 gibt es auch in Nordrhein-Westfalen seit dem 01.01.2004 die Möglichkeit, Zielvereinbarungsverhandlungen aktiv anzugehen. Der § 5 des BGG NRW ermöglicht dies, da der DSB als Bundesverband ein nach § 13 Bundes-BGG anerkannter Verband ist.
Im Gegensatz zum BGG des Bundes können in NRW Zielvereinbarungsverhandlungen mit Kommunen, mit Eigenbetrieben der Kommunen oder des Landes und z.B. mit dem WDR (Westdeutscher Rundfunk) geführt und abgeschlossen werden.
Diese Möglichkeiten hat der DSB-Landesverband NRW von Anfang an beobachtet und genutzt. Er hat sich dabei Zielvereinbarungsaufforderungen angeschlossen, aber auch selbst zu Zielvereinbarungsverhandlungen aufgefordert. Mittlerweile ist der DSB-LV NRW einer der aktivsten Landesverbände in NRW in diesem Bereich.
Ebenso wie auf Bundesebene gibt es im Internet ein Zielvereinbarungsregister, das vom nordrhein-westfälischen Sozialministerium gepflegt wird. Es ist zu finden unter www.mags.nrw.de
Welche Erfahrungen gibt es bei der Aufforderung?
Ebenso wie auf Bundesebene oder in anderen Bundesländern muss das Zielvereinbarungsregister regelmäßig beobachtet werden. Schließlich müssen bei Aufforderungen Informationen zum möglichen Inhalt und ggf. der Örtlichkeit eingeholt werden. Schließlich entscheidet der Landesverband, ob er aktiv teilnimmt, d.h. sich der Aufforderung innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist anschließt oder nicht. Es besteht ebenso die Möglichkeit, als "Gast" den Verhandlungen beizuwohnen.
Die Aufforderungen durch den DSBLandesverband NRW kamen bei den Angeschriebenen unterschiedlich an. Wichtig ist ein guter Kontakt mit dem Ortsverein oder der Selbsthilfegruppe (SHG) vor Ort oder in der Nähe, um auch das "Klima" vor Ort kennen zu lernen.
In bisher allen Fällen hat sich die am Anfang bestehende Unsicherheit bei den angeschriebenen Zielvereinbarungsverhandlungs- Partnern gelegt. Denn, das ist eine wichtige Erfahrung, die Kommunen oder Eigenbetriebe der Kommunen oder des Landes kennen diese Möglichkeiten (noch) nicht. Umso wichtiger ist der "Ton" in einem solchen Verfahren.
Oft wird in den Kommunen nur an Behinderungsarten gedacht, die "sichtbar" sind. Hörbehinderte verursachen dort oft ein großes "Fragezeichen".
In einem Fall hat die örtliche AG der Behinderten sehr ungehalten reagiert und dem Landrat schon mal vorab einen Entschuldigungsbrief geschickt. Mittlerweile rühmt sich diese AG ob des tollen Zielvereinbarungsverfahrens. Das ist aber auch im Wesentlichen egal, Hauptsache, die Barrieren für Schwerhörige und Ertaubte können beseitigt werden.
Wie läuft die Zusammenarbeit?
Die Zusammenarbeit mit der SHG oder dem Ortsverein vor Ort ist entscheidend für den Erfolg des Verfahrens. Wichtig ist, dass die Gruppe vor Ort den Sinn und den Inhalt des Verfahrens kennt. Die Vertretrinnen und Vertreter des Landesverbandes NRW sind darauf angewiesen, gute Informationen zu erhalten. Der Landesverband unterstützt dabei nur im Rahmen seiner Möglichkeiten. Er kann nichts umsetzen, was die Betroffenen vor Ort nicht für erforderlich halten. Bisher haben diese Kontakte reibungslos geklappt.
Mit der Zeit haben wir gelernt, dass die anderen beteiligten Behindertenverbände uns nicht voraus sind in Zielvereinbarungsverhandlungserfahrungen. So ergeben sich neben dem Erfahrungsaustausch nach und nach Kooperationen, die für andere Verfahren wieder hilfreich sind.
Wo liegen die Gefahren?
Gefahren lauern in einem solchen Verfahren an einigen Punkten. Manchmal ist es so, dass die Betroffenen vor Ort, die ja auch kompetente Selbstbetroffene sind, ihre Kenntnisse und Erfahrungen überschätzen oder ihre Kenntnisse und Möglichkeiten unterschätzen.
Wichtig ist es, aus dem Bereich Technik und Barrierefreies Planen und Bauen Fachleute des Landesverbandes dazu zu nehmen, oder sie zumindest am Verfahren zu beteiligen. Dies ist in NRW gewährleistet, da wir eigene Landesreferate dafür haben.
Nach dem ersten Kennenlernen und den Begehungen kommen die Verhandlungen in die wichtige Konzentrationsrunde, d.h. zu selektieren, was ist wichtig, was ist machbar.
Zum Schluss muss das Ganze schriftlich vereinbart werden. Dazu ist es gut, jemanden im Landesverband zu haben, der zivilrechtliche oder juristische Kenntnisse hat.
AG für Behinderte in den Kommunen
In vielen Kommunen in NRW gibt es eine örtliche/regionale AG für Menschen mit Behinderung. Sie heißen überall ein wenig anders, haben aber meist die gleichen Arbeitsinhalte. Da Schwerhörige und Ertaubte (noch) nicht überall organisiert sind, passiert es, dass diese AGs mit der Kommune Vereinbarungen treffen (Keine Zielvereinbarungen), die die Barrierefreiheit zum Inhalt haben, wo aber die Bedürfnisse schwerhöriger und ertaubter Menschen nicht berücksichtigt werden. Oft wird dann argumentiert, dass sich die Kommune nicht noch einmal mit jemandem zusammensetzen will. Doch – das muss sie! Und die Ergebnisse aus Zielvereinbarungsverhandlungen können umfangreicher und effektiver sein, ohne die Position einer örtlichen oder regionalen AG zu beeinträchtigen.
Das Land NRW unterstützt ob des komplizierten Verfahrens bei den Zielvereinbarungsverhandlungen für einige Jahre eine "agentur barrierefrei nrw", die beim Landesbehindertenrat NRW angesiedelt ist. Sie unterstützt die Zielvereinbarungsverhandlungen, indem sie bei den Verhandlungen Protokolle erstellt und Ansprechpartner für kleinere Verbände oder Gruppen ist, die nicht über ihren Bundesverband eine Anerkennung nach § 13 BGG haben. Die Zusammenarbeit des DSB-LV NRW mit dieser Einrichtung läuft und klappt hervorragend. Gerade für die vielen ehrenamtlich geführten Verbände ist diese Agentur eine konstruktive Hilfe.
Fazit
Zielvereinbarungsverhandlungen in NRW machen Sinn und Spaß, sind aber extrem arbeitsaufwändig. Derzeit laufen auch noch Verhandlungen zur Barrierefreiheit mit den fünf größten Flughäfen in NRW; Initiatorin hier ist die Landesbehindertenbeauftragte NRW. Durch diese Verhandlungen werden der Landesverband und der DSB natürlich als kompetenter Ansprechpartner und die Bedürfnisse von Schwerhörigen und Ertaubten bekannt. Dies merken wir bei den Rückfragen, die von dritter Seite kommen.
Pressemitteilung (20.11.2013)
Pressemitteilung (20.11.2013)
Pressemitteilung (20.11.2013)
Pressemitteilung (20.11.2013)