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Deutscher Schwerhörigenbund e. V.

Wegweisender Konsens von Hörexperten beschlossen

Wegweisender Konsens von internationalen Hörspezialisten über die Behandlung von Hörverlust bei Erwachsenen mit einem Cochlea-Implantat

  • Der heute in JAMA Otolaryngol Head Neck Surgery veröffentlichte, weltweit erste Konsens empfiehlt einen „internationalen Versorgungsstandard für die Implantation von Cochlea-Implantaten“, u. a. bei der Diagnose, Überweisung, Behandlung und Nachsorge für Erwachsene mit schwerem bis an Taubheit grenzendem Schallempfindungshörverlust.1
  • Ein neuer weltweiter Zusammenschluss von 31 HNO-Chirurgen und Audiologen sowie sieben Fachverbänden tritt für bessere Standards bei der Hörgesundheit von Erwachsenen ein.
  • Der wegweisende Konsens gibt bis zu 53 Millionen Menschen, die mit schwerem bis an Taubheit grenzendem Hörverlust2 leben, weltweit Anlass zu Optimismus, und er bietet eine klare Linie für Audiologen und Ärzte1.

 

Chicago, USA–27.08.2020: Der allererste weltweite Konsens zur Verwendung von Cochlea-Implantaten (CI) für die Behandlung von Erwachsenen mit Hörverlust wurde heute in JAMA Otolaryngol Head Neck Surgery veröffentlicht.1 Das Konsenspapier wurde von einem neuen Zusammenschluss aus 31 Hörexperten mit chirurgischem und audiologischem Hintergrund sowie sieben Vertretern von Patienten- und Fachverbänden aus über 13 Ländern erstellt.1

Für Professor Thomas Lenarz, Mitvorsitzender des Steuerkomitees und Klinikdirektor der Hals-Nasen-Ohrenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover, Deutschland, ist das Konsenspapier ein wichtiger Meilenstein bei der Behandlung von Hörverlust.

„Bis heute gab es keine einzige internationale Vereinbarung über die beste Möglichkeit, schweren bis an Taubheit grenzenden Hörverlust bei Erwachsenen zu diagnostizieren und zu behandeln“, so Professor Lenarz. „Dieses Papier enthält eine Übersicht des ersten weltweiten Konsens darüber, wie wir die Versorgung von Erwachsenen mit schwerem bis an Taubheit grenzendem Hörverlust optimieren können. Die Empfehlungen für Chirurgen, Audiologen und Gesundheitsdienstleister sind vollkommen klar.“

Das Konsenspapier enthält 20 Erklärungen zu sieben Kategorien für Erwachsene mit schwerem, an Taubheit grenzendem Hörverlust oder moderat bis an Taubheit grenzend abfallendem Schallempfindungshörverlust auf beiden Ohren. Jede Erklärung wurde von den Ausschussmitgliedern nach Beratung durch Vertreter eines Consumer and Professional Advocacy Committee (CAPAC) aus Konsumenten und Experten beschlossen. Die Kategorien umfassen u.a.:

1. Bekanntheit von Cochlea-Implantaten

2. Best-Practices für klinische Behandlungspfade in der Diagnosestellung

3. Best-Practice-Richtlinien für chirurgische Eingriffe

4. Klinische Wirksamkeit von Cochlea-Implantaten

5. Einfluss bestimmter Faktoren auf die Implantation selbst und ihre Ergebnisse

6. Zusammenhang zwischen Hörverlust und Depression, Kognition und Demenz

7. Mit Cochlea-Implantaten verbundene Kosten.

Professor Lenarz fügt hinzu: „Aus diesen Empfehlungen können eines Tages Leitlinien für die klinische Praxis entwickelt werden. Solche Leitlinien könnten weltweit den Zugang zu Cochlea-Implantaten steigern, Ungleichheiten in der CI-Versorgung adressieren und zu einer Verbesserung der Hör- und Lebensqualität von Erwachsenen mit beidseitigem Hörverlust führen, die als Kandidaten für ein CI infrage kommen.“

Die Mitvorsitzenden des CAPAC, Barbara Kelley, Executive Director der Hearing Loss Association of America, und Dr. Harald Seidler, ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Schwerhörigenbundes (1996–2019) und selbst Cochlea-Implantatträger, lobten das Potenzial des Konsenspapiers, Menschen mit Hörverlust zu helfen.

„Hörverlust wird weltweit unterschätzt. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt könnten von einer lebensverändernden Hörlösung, wie dem Cochlea-Implantat, profitieren. Aufgrund eines geringen gesellschaftlichen Bewusstseins und uneinheitlicher Standards können jedoch bis zu 95 Prozent der Erwachsenen ohne diese lebensverändernde Technologie das Nachsehen haben“, so Kelley.

„Dies ist die erste internationale Partnerschaft überhaupt, die sich speziell mit der Verbesserung der Versorgung von Erwachsenen beschäftigt, die von einem Cochlea-Implantat profitieren könnten. Durch die Kombination des Expertenwissens von Chirurgen und Audiologen mit den Erfahrungen von Erwachsenen, die mit Hörverlust leben, wird dieses Papier wesentlich dazu beitragen, Menschen bessere Ergebnisse beim Hören und der Lebensqualität zu verschaffen“, fügt Dr. Seidler hinzu.

In vielen Ländern wird das Gehör nicht im Rahmen von regelmäßigen Gesundheitsüberprüfungen untersucht. Von jenen, deren Gehör überprüft wird und die unter einem schweren bis an Taubheit grenzenden Hörverlust leiden*, werden nur wenige zu einem Hörspezialisten überwiesen, der untersucht, ob ein implantierbares Hörgerät die vorteilhafteste Behandlungsmöglichkeit sein könnte.3,4

Während Cochlea-Implantate eine wirksame medizinische Behandlung für zahlreiche Erwachsene mit schwerem bis an Taubheit grenzendem Schallempfindungshörverlust5 sind, weisen konservative Schätzungen darauf hin, dass nicht mehr als 1 von 20 Erwachsenen, die von einem Cochlea-Implantat profitieren könnten, eines tragen.6,7

Professor Lenarz kam zu dem Ergebnis, dass „dieses Konsenspapier ein Wendepunkt sein könnte. Es bleibt jedoch noch viel Arbeit, um sicherzustellen, dass Erwachsene die bestmögliche Versorgung ihres Hörverlusts erhalten. Es liegt in der Hand der Chirurgen und Audiologen, von in der Primärversorgung tätigen Ärzte und Gesundheitsorganisationen, zusammenzuarbeiten und diese Standards Wirklichkeit werden zu lassen.“

Klicken Sie zum Anzeigen des Konsenspapiers sowie der vollständigen Methode und Konsenserklärung auf https://jamanetwork.com/journals/jamaotolaryngology/article-abstract/2769941  .

Über den Konsensprozess (1)

Der Konsensprozess wurde mit einer systematischen Überprüfung zur Bestimmung relevanter Studien im Fachgebiet gestartet. Diese wurden dann als Basis für die Entwicklung evidenzbasierter Konsenserklärungsentwürfe verwendet. Die Erklärungsentwürfe wurden dann in das Delphi-Abstimmungsverfahren mit drei anonymen Abstimmungen aufgenommen.

Alle Mitglieder des Steuerungsausschusses und des Delphi-Gremiums, mit Ausnahme des Vorsitzenden, konnten beim Konsensprozess abstimmen. Die Abstimmung über den Entwurf des Konsenspapiers lief über drei Runden. Bei jeder Abstimmungsrunde wurde mithilfe von Online-Fragebögen anonym über die einzelnen Aussagen abgestimmt. Ein Konsens wurde als eine Zustimmung von mindestens 75 Prozent der Befragten definiert. Während dieses Prozesses hatten alle Mitglieder Zugriff auf einen Bericht zu identifizierten Evidenzdaten aus einer systematischen Literaturüberprüfung sowie auf die Ergebnisse der Qualitätsbewertung der berücksichtigten Studien.

Über die Autoren

Der Delphi-Konsensprozess zur unilateralen CI-Implantation bei Erwachsenen mit bilateralem schwerem, an Taubheit grenzendem oder moderat bis an Taubheit grenzend abfallendem Schallempfindungshörverlust wurde von einem nicht abstimmberechtigten Vorsitzenden in Person von Dr. Craig Buchman, Leiter der Otolaryngologie – Kopf- und Halschirurgie, Washington University School of Medicine, St. Louis, USA, geleitet. Unterstützt wurde der Vorsitzende von vier abstimmberechtigten Mitgliedern des Lenkungsausschusses: Professor René Gifford, Vanderbilt University, Nashville, USA; Dr David Haynes, Vanderbilt University, Nashville, USA; Professor Thomas Lenarz, Medizinische Hochschule Hannover, Deutschland; Professor Gerard O'Donoghue, University of Nottingham, GB.

Das Delphi-Gremium bestand aus weiteren 26 Experten im Bereich der CI-Nutzung, darunter Audiologen und HNO-Spezialisten aus 13 Ländern.

Zusätzlich wurde ein Consumer and Professional Advocacy Committee (CAPAC) aus Vertretern von internationalen CI-Träger-Verbänden und professionellen Expertenorganisationen in die Entwicklung der Konsenserklärung miteinbezogen.

*Schwerer Hörverlust, der das Hören und die Beteiligung an Gesprächen in geräuschvollen Umgebungen stark erschwert.

Der Delphi-Prozess und die Unterstützung bei der medizinischen Redaktion wurden von Advanced Bionics, Cochlear Ltd, MED-EL und Oticon Medical mitfinanziert. Die Förderorganisationen haben keinen Einfluss auf die Konzeption, die Durchführung oder den Inhalt des Delphi-Konsensprozesses genommen.

Quellenangaben

1. Buchman CA et al. JAMA Otolaryngol Head Neck Surgery 2020

2. Global Burden of Disease Hearing Loss Expert Group. Eur J Public Health 2013;23:146–52.

3. Cohen SM, Labadie RF, and Haynes DS. Primary care approach to hearing loss: the hidden disability. Ear Nose Throat J 2005;84:26.

4. Raine C, Atkinson H, Strachan DR, et al. Access to cochlear implants: Time to reflect. Cochlear Implants Int 2016;17 (Suppl 1):42–6.

5. Gaylor JM, Raman G, Chung M, et al. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg. 2013;139(3):265-272.

6. Sorkin D. Cochlear Implants Int 2013;14(Suppl 1):S1.

7. De Raeve L. Eur Ann Otorhinolaryngol Head Neck Dis 2016;133(Suppl 1):S57–60.

Ansprechpartner für Journalisten

Herr Dr. Harald Seidler
Frau Renate Welter