Skip to main content
Deutscher Schwerhörigenbund e. V.

Hörscreening ab 50 als Vorsorgeleistung

Hörtest ab dem 50. Lebensjahr als Vorsorgeleistung zur Erkennung von Altersschwerhörigkeit und zur Vermeidung assoziierter Risiken

Schwerhörigkeit

Schwerhörigkeit ist nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein wesentliches globales Gesundheitsproblem.1 Beeinträchtigende Schwerhörigkeit (disabling hearing loss) betrifft gemäß der Weltgesundheitsorganisation 5,5% der Menschen,2 allein in Deutschland berichten 11,1% der Bevölkerung (ca. 9,24 Millionen Menschen), hörgemindert zu sein.3

Hörstörungen häufen sich mit zunehmendem Alter. Ein Drittel aller Betroffenen ist 65 Jahre alt oder älter. In der Alterskohorte über 60 Jahre berichten mehr als 20 Prozent, in der Kohorte über 70 mehr als 30 Prozent Hörschwierigkeiten.4

Altersschwerhörigkeit

Altersschwerhörigkeit wird oftmals nicht rechtzeitig erkannt. Sie setzt etwa ab dem 50. Lebensjahr ein und verläuft progredient, kann jedoch in der Regel erfolgreich mit Hörgeräten oder Implantaten behandelt werden. Bleibt die Erkrankung unversorgt, gewöhnen sich Patienten oft an den Hörverlust und nehmen diesen nicht mehr direkt wahr. Bei Nichtversorgung könnten gemäß neuen Studien Folgeerkrankungen u.a. in Form von Depression und Demenz auftreten.5 Das Sturzrisiko ist erhöht.6 Rechtzeitige Diagnose und Therapie helfen auch, sozialer Isolation durch Hörverlust vorzubeugen.

BVHNO, BVHI und die Verbände der Patientenvertreter sind überzeugt, dass die Durchführung von Hörtests ab einem Alter von 50 Jahren als reguläre Vorsorgeleistung für gesetzlich Krankenversicherte einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung von Presbyakusis leisten kann. Individuelle gesundheitliche Folgeschäden und gesellschaftliche Folgekosten (in Deutschland allein 39 Milliarden Euro jährlich)7 ließen sich so reduzieren.

Es wird angeregt, eine Vorsorgeuntersuchung auf Presbyakusis für Menschen ab dem 50. Lebensjahr in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen.

Notwendigkeit von Vorsorgeuntersuchungen

Die Erkennung einer Presbyakusis (insbes. durch die Betroffenen selbst) wird dadurch erschwert, dass sie sich etwa ab dem 50. Lebensjahr allmählich und ohne erkennbare andere Ursache entwickelt. Presbyakusis schreitet langsam voran und ist auf eine morphologische und funktionelle Veränderung von Innenohr, Hörnerv und zentralen Regionen zurückzuführen. Diese Veränderungen führen zu einer Beeinträchtigung der Hörfunktion durch eine erhöhte Hörschwelle und eine reduzierte Frequenzauflösung.8 Das Ausbleiben einer Behandlung beeinträchtigt Alltag und Lebensqualität und wirkt sich möglicherweise auch negativ auf Verlauf und Genese geriatrischer Erkrankungen aus.

Ein für Menschen ab dem 50. Lebensjahr routinemäßig durchgeführter Hörtest würde die erwartbar hohe Dunkelziffer jener Menschen deutlich verringern, die sich ihrer Hörminderung aufgrund ihres zunächst unbemerkten Einsetzens und schleichenden Fortschreitens nicht bewusst sind.

Vermeidung assoziierter Gesundheitsrisiken

Menschliches Hören ist eng mit kognitiven Fähigkeiten verbunden.9 Eine Längsschnittstudie belegt, dass sich das relative Risiko einer Demenzerkrankung nach 10 Jahren schon bei einer geringgradigen Hörminderung (maximal 40 dB im Oktavfrequenzbereich zwischen 0,5-4 kHz) verdreifacht.10 Eine darauffolgende Studie bestätigt, dass Hörverlust einen Risikofaktor für Demenz darstellt.11 Der Zusammenhang unversorgter Hörminderung mit einem höheren Demenzrisiko wird derzeit intensiv beforscht. Gemäß der Lancet Commission on Dementia Prevention, Intervention and Care ist unversorgter Hörverlust der größte potentiell modifizierbare Faktor einer Demenzerkrankung.12     Diese Erkenntnis bestätigt eine französische Langzeitstudie, welche zeigte, dass selbstberichtete Hörprobleme mit einem erhöhten Risiko für Demenz und Depression verbunden sind. Ein solches erhöhtes Risiko wurde nicht bei jenen älteren Erwachsenen festgestellt, die Hörgeräte benutzten.13

Im höheren Lebensalter ist ein Hörverlust mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung depressiver oder ängstlicher Symptome (OR: 1,63 bis 1,85) bis hin zu gesteigerten suizidalen Vorstellungen assoziiert (OR: 1,29 bis 1,47),14 besonders, wenn zusätzlich noch eine Sehbehinderung vorliegt.15 Han et al. zeigten, dass eine Rehabilitation des Hörvermögens präventiv hinsichtlich der Entwicklung einer Depression wirken kann.16

In mehreren Längsschnittuntersuchungen17 sowie einer systematischen Übersichtsarbeit18 wurde zudem nachgewiesen, dass Hörstörungen einen unabhängigen Risikofaktor für Stürze im höheren Lebensalter darstellen.

Insgesamt ist eine Schwerhörigkeit mit einem erhöhten Hospitalisationsrisiko verbunden (OR: 1,32, bereinigt um demografische und kardiovaskuläre Risiken).19 Eine Studie aus den USA (n = 53.111) zeigte, dass Hörverluste ab dem 65. Lebensjahr generell mit einer erhöhten Erkrankungsrate assoziiert sind.20

WHO fordert Früherkennung ab 50, Frankreich plant Hörscreenings ab 55

Die frühzeitige Erkennung einer Schwerhörigkeit ist von zentraler Bedeutung, um eine effektive Therapie einzuleiten und assoziierte Gesundheitsrisiken zu vermeiden. Personen ab dem 50. Lebensjahr sollten daher präventiv einer fachärztlichen Diagnostik zugeführt werden. Insbesondere zur Vermeidung der mit unversorgter Schwerhörigkeit assoziierten Komorbiditäten empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation in ihrem 2021 veröffentlichten World Report on Hearing, Erwachsene ab einem Alter von 50 Jahren regelmäßig auf Hörverlust zu testen. Die WHO empfiehlt Screenings in Abständen von maximal fünf Jahren bis zum 64. Lebensjahr. Ab dem 65. Jahr ist die Frequenz auf ein bis drei Jahre zu erhöhen.21

Diese Forderungen werden in Europa bereits aufgenommen. In Frankreich empfiehlt eine interministerielle Kommission22 als Ergebnis ihrer groß angelegten Untersuchung der Hörversorgung, regelmäßige Hörscreenings ab dem 55. Lebensjahr zu einem integralen Teil der französischen Gesundheitsversorgung zu machen. 23

Deutschland wäre mithin kein Pionier mehr, würde es sich die WHO-Forderung nach Hörtests ab 50 gleichfalls zu eigen machen.

BVHNO, BVHI und die Verbände der Patientenvertreter sind überzeugt, dass die Durchführung standardisierter Hörtests mittels fachärztlichen Screenings ab einem Alter von 50 Jahren als reguläre Vorsorgeleistung für gesetzlich Krankenversicherte einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung von Presbyakusis, ihrer rechtzeitigen Therapie und zur Vermeidung assoziierter Folgeerkrankungen leistet.