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Deutscher Schwerhörigenbund e. V.

Wer nicht hören kann muss (ab-)sehen

Einleitungen und Vorbemerkung

Sie sind schwerhörig. Bei Unterhaltungen und in Gesellschaft fühlen Sie sich ausgeschlossen, weil Sie den Gesprächen nicht folgen können. Auch Ihr Hörgerät bietet Ihnen nur geringe Hilfe. Oder Sie sind allmählich oder gar plötzlich ertaubt. Verzagen Sie bitte nicht - auch mit Ihrem Restgehör oder gar ohne Gehör können Sie Ihren Alltag meistern, wenn auch anders als zu Zeiten, da Sie noch gut hörten.

Versuchen Sie es einmal mit dem Absehen. Wecken Sie die Fähigkeiten, die in Ihrer Sehkraft liegen, und bilden Sie langsam aber stetig das Tastgefühl Ihrer Zunge und des Gaumens aus.

Die Übungen in diesem Buch sind für Schwerhörige und Ertaubte zusammengestellt, vor allem für solche, denen ein Hörgerät nur geringe oder sogar keine Hilfe gewährt. Die Anregungen, Erklärungen und Übungsbeispiele wollen eine Hilfe sein für jene, die das "Absehen des Gesprochenen vom Mund" erlernen wollen. Sie sind das Ergebnis zahlreicher Übungsstunden im Absehen vom Mund und des Vergleichens vieler und verschiedenster Methoden, das Absehen vorn Mund zu lernen und zu lehren. Die Übungsbeispiele wollen vor allem auch jenen helfen, die beim Erlernen des Absehens auf halbem Wege stehen bleiben, weil ihnen das Absehen zu beschwerlich vorkommt.

Zum besseren Verständnis des Übungsbuches seien den Absehübungen einige Bemerkungen vorangestellt. Beim Absehen entnimmt das Auge die Information vorwiegend aus den Bewegungen der Lippen. Daher nannte man früher auch das Absehen der Sprache vom Mund "Lippenlesen". Die Lippen sind beim Sprechen sehr aktiv. Sie führen aktive und passive Bewegungen aus. Die passiven Bewegungen sind Veränderungen, die durch die Bewegungen des Unterkiefers hervorgerufen werden. Es können sichtbare Lippenbewegungen vorhanden sein, auch wenn die Lippenmuskulatur nicht aktiv ist, zum Beispiel bei der Silbenreihe "nanana". Leider gibt es noch kein vollkommenes Verfahren, mit dessen Hilfe man die Sprechbewegungen in ihrem Ablauf beim zusammenhängenden Sprechen darstellen kann. Die Sprechbewegungen kann man nicht in ihren Einzelheiten vorausbestimmen.

Bei einem Sprechbewegungsablauf ist eine Vielzahl von Organen gleichzeitig beteiligt. Ihre Bewegungen sind miteinander verflochten. Darum ist es schwierig, den Sprechbewegungsablauf als Gesamtgeschehen zu beschreiben Jedes Lautbild muß zunächst einzeln betrachtet werden. Aus den einzelnen Bildern setzen sich die Silben, Wörter und Sätze zusammen.

Bei fortschreitender Absehfähigkeit wird das Gefühl der Zunge und des Gaumens die Erkenntnisfähigkeit der Augen ergänzen. Die Übungen in diesem Buch nehmen darum den Weg über das Lautbild zur Silbe und von der Silbe zum Wort, um gleich das Wort dem Satz einzufügen.

Die Übungsfolge führt vom Leichteren zum Schwierigeren. Sie beginnt mit den Selbstlauten (Vokalen) A - O - U - E - I, leitet über zu den Umlauten Ä - Ö - Ü und erklärt das Erkennen der Doppellaute Au - Ei - Eu.

Die Reihe der Mitlaute (Konsonanten) wird eingeleitet von den Lippenlauten M, B, P, die beim Absehen als Einzellaut erkennbar sind. Dasselbe gilt für die folgenden Zahn-Lippenlaute F, Ph, V, W. Der Zahn-Zungenlaut Sch ist leicht zu erkennen, da bei der Bildung dieses Lautes die Lippen vorgestülpt werden.

Schwieriger wird das Absehen dann bei den Zahn-Zungenlauten N, D, T und S.

Dem Zahn-Zungenlaut S folgt der Zungenlaut L. Das in den Übungsbeispielen nun folgende R zu erkennen ist nicht ganz einfach. Als Zungen-R gesprochen, ähnelt es leicht dem L. Doch sehr selten wird das Zungen-R gesprochen. Meist kommt es als hinterer Gaumenlaut, als Zäpfchen-R vor.

Die Übungen führen weiter zum Erkennen der Zungen-Gaumenlaute.

Von diesen wird zunächst der vordere Gaumenlaut CH, der wie "ich" gesprochen wird, behandelt. Zu diesem Laut gehört auch der Laut J. Es folgen die hinteren Gaumenlaute Ng, K, G und der hintere Gaumenlaut CH, der wie ach, och oder uch gesprochen wird. In eigenen Übungsbeispielen wird auf das Zäpfchen-R näher eingegangen.

Es folgen zum Schluß Übungsbeispiele mit dem Hauchlaut H. Der Hauch laut H paßt sich allen ihm folgenden oder vorangehenden Selbstlauten an. Die Übung mit diesem Laut eignet sich zur Wiederholung aller vorangehenden Übungsbeispiele.

Sind Sie mit der Kunst, das Gesprochene vom Mund abzusehen, noch nicht vertraut, dann lesen Sie bitte zunächst in Ruhe die 'Wichtigen Vorbemerkungen' unten auf dieser Seite.

Unterhalb dieser Einleitung finden Sie 'Übungen zur Selbstermutigung'. Sie brauchen sich nicht streng an diese Übungen zu halten. Den Text können Sie nach Gutdünken ändern. Diese Übungen sind als eine Möglichkeit von vielen aufgeführt, die Absehübungen lebendig zu gestalten. Die Selbstermutigung soll Ermüdungen und Mutlosigkeit entgegenwirken. Man sollte sie nicht unterschätzen.

Außerdem wird darauf hingewiesen, die Augen nicht zu sehr anzustrengen. Das Absehen kann anfangs die Augen sehr strapazieren.

Die Darstellung unter 'Schematische Darstellung der Laute' bietet zur Einführung einen kurzen Überblick über die Bewegungen der verschiedenen Gesichtspartien bei den einzelnen Lauten.

Unter 'Beschreibung des Gesichtsbildes' werden diese Bewegungen näher beschrieben. Kontrollieren Sie die Beschreibungen auch bitte vor dem Spiegel und lassen Sie sich die Laute von einigen Personen vorsprechen; denn jedes Gesichtsbild ist anders (wie auch jede Handschrift anders geartet ist).

Unter 'Übungen mit dem Spiegel' können Sie nun überprüfen, wie es um Ihre Absehfähigkeit bestellt ist. Die Antworten auf die einzelnen Fragen finden Sie darunter. Vergleichen Sie zunächst ihr Ergebnis mit diesen Antworten. Den Test können Sie von Zeit zu Zeit wiederholen und so feststellen, wie Ihre Fähigkeit vom Mund abzusehen zunimmt.

Die 'Häufig zu wiederholenden Laut-, Silben- und Wortübungen' finden Sie auch nochmals im Anhang.

Fangen Sie bitte mit der Übung des Selbstlautes A unter 'Abseh-Übungen' an. Üben Sie in Ruhe Seite für Seite. Nehmen Sie sich viel Zeit zu den Übungen und werden Sie bitte nicht ungeduldig, wenn sich der Erfolg erst nach einigen Monaten zeigt.

Vor jeder Übung finden Sie Abbildungen des zu übenden Lautes und eine kurze Beschreibung des Mundbildes. Dann beginnt die eigentliche Übung. Jede Übung wird im Einzelnen eingeleitet durch eine Ermunterung zur Stärkung des Selbstvertrauens. Die Lautlehre will aufzeigen, wie der betreffende Laut - als Einzellaut gesprochen - zu erkennen ist. Die Fülle der Erklärungen der einzelnen Lautbilder soll nicht dazu verleiten, dass man länger bei ihnen verweilt. Sie sind nur Hilfsmittel, das Absehen zu erleichtern. Betrachten Sie darum die Bilder und Erklärungen als "Krücken", derer Sie sich beim Erlernen des Absehens bedienen. die Sie aber möglichst bald beiseite legen.

Auch die der Lautlehre folgenden Übungen sollten Sie nicht zu lange ausdehnen. Es genügt, diese Übungen einmal durchzuarbeiten. Legen Sie vor allem Wert auf Wortfindungsübungen und auf Übungen in ganzen, sinnvollen Sätzen. Es soll nicht nur das Absehen geübt werden, sondern auch (für diejenigen, die ihre eigene Stimme nicht mehr oder nur noch schwach vernehmen) das freie Sprechen. Tragen Sie ein Hörgerät, dann sollten Sie es nicht unterlassen, Ihr Restgehör durch stetes Hörtraining zu schulen. Hierzu eignen sich gleichklingende Worte, die Sie sich in normaler Stimmlage und in normalem Sprechtempo vorsprechen lassen. Bei der Literaturangabe unter 'Anmerkungen' wird auf Material für ein Hörtraining verwiesen.

Schrecken Sie nun bitte nicht zurück vor den Kombinationsübungen. Sie sind ein Versuch das Gesprochene so darzustellen, wie es die Augen in der Regel sehen. Wenn Sie sich die "Schematische Darstellung der Laute, wie sie vom Gesicht abzusehen sind", die "Beschreibung des Gesichtsbildes der 'einzelnen Laute" und die "Übung mit dem Spiegel" gut angesehen haben und nun noch die 'Hinweise, die uns das Absehen erleichtern können' im Anhang, dürften Ihnen diese Übungen nicht allzu schwer fallen. Anhand dieser Übungen wird Ihnen bald geläufig sein, was Ihre Augen in Wirklichkeit von den Lippen absehen können. Übungen dieser Art steigern die Fertigkeit in der Kunst, vom Mund abzusehen.

Das vorher Geübte wiederholen Sie nun noch einmal vor dem Spiegel, damit Sie sehen, wie Sie selbst sprechen und so Ihre Sprechweise kontrollieren können. Da jedes Lautbild bei jeweils verschiedenen Personen anders aussieht, lassen Sie sich das Ganze noch einmal von einigen Personen vorsprechen.

Überziehen Sie bitte keine Übung. Eine halbe Stunde zusammenhängend und konzentriert üben ist sehr viel! Wählen Sie zunächst für die Übungen Begriffe aus Ihrem täglichen Leben zu Hause und im Beruf. Häufig wiederkehrende Worte notieren Sie, sprechen Sie sich im Spiegel vor und lassen Sie sich von anderen vorsprechen - zunächst das einzelne Wort, dann jedoch dieses einzelne Wort innerhalb eines ganzen Satzes.

Verleiden Sie sich bitte nicht die Freude am Absehen durch allzu schwere Übungsbeispiele.

Ruhen Sie sich nach den Übungen gut aus, entspannen Sie Ihre Augen und stärken Sie Ihr Selbstvertrauen.

Schwerhörige und Ertaubte sollten es sich zur Gewohnheit machen, immer nur in ganzen Sätzen zu sprechen. Lesen Sie viel und wenn möglich laut, damit nicht infolge Ihres Hörverlustes ihr Wortschatz verkümmert. Wortfindungsübungen, Kreuzworträtsel bilden hierzu eine gute Ergänzung.

Lassen Sie sich durch die Übungsbeispiele dieses Buches zum Lernen anregen und über schwierige Krisen und Mutlosigkeit hinweghelfen. Wie bei allem Lernen kommt es auch hier auf das Weitermachen an. Anfangen ist leicht, im Weitermachen nur sein Ziel man erreicht!

Können Sie schon einigermaßen oder gut vom Mund absehen und wollen Sie sich in der Fertigkeit vom Mund abzusehen weiter vervollkommnen, dann geben Sie am besten der Lektion den Vorrang, die das für Sie am schwierigsten abzusehende Mundbild erklärt und einübt. Jede Lektion für sich ist eine abgeschlossene Abseh-Übung.

Und nun: Viel Erfolg beim Absehen!

Für weitere Anregungen und Übungsvorschläge dankt Ihnen der Herausgeber dieses Buches.

Das Absehen ist ein Verstehen von Sprechbewegungen. Es geht beim Absehen um das Erkennen

  • der gegliederten Sprechbewegung
  • des Sprachablaufs im Satzbild
  • der gedanklichen Aussage.

Für die Praxis der Übungen gilt:

  • Mitsprechen, d.h. sehen und sprechen zugleich.
  • Beim Absehen auf den Mund (nicht in die Augen) schauen!
  • Die Sprechweise sei gedämpft.
  • Natürliche Mundbewegungen anstreben, nicht übertreiben.
  • Auch die Umgangssprache üben.
  • Als Übungsbeispiele nehme man zunächst Begriffe aus dem täglichen Leben.
  • Die Übungsstunden sind Sprech!-Stunden!!
  • Man übe im Satzrhythmus (auch bei Lautverbindungen, Silbenübungen und Wortübungen.
    Z.B. ich muß fort = mang - mang - mang.
  • Immer versuchen, spielend zu lernen (Wortfindungsübungen)
  • Zu Hause (auch vor dem Spiegel) üben beschleunigt den Erfolg.
  • Viel lesen erweitert den Wortschatz.
  • Je größer der Wortschatz, umso leichter fällt beim Absehen das Kombinieren.
  • Wörter, deren Mundbilder einander ähnlich sehen, werden notiert;
    man läßt sie sich häufig vorsprechen: Mutter - Butter, drei - acht usw.
  • Das Üben nicht übertreiben; nach einer Viertelstunde intensiven Übens kurze Pause einlegen.