Spektrum Hören 4 / 2016
- Vorwort des Vizepräsidenten des DSB e.V., Dr. Norbert Böttges
Liebe Leserinnen und Leser,
wissen Sie noch, was ein Spulentonbandgerät ist? Spulentonbandgeräte waren einst der Stand der Technik, wenn es darum ging, Musik aufzunehmen und dadurch den Kauf der teuren Langspielplatten zu sparen. Stunden, Tage, Wochen habe ich damit verbracht, Titel aus dem Radio oder ganze Musikalben auf Magnetband zu bannen. Sicher: Das Einfädeln der Magnetbänder war nicht jedermanns Sache. Deshalb kamen irgendwann die Compact-Cassetten auf. Da waren Ab- und Aufwickelspule handlich in einem Gehäuse vereint. Das war wesentlich robuster und einfacher zu handhaben. Und: Einen Kassettenrekorder konnte man unterwegs mitnehmen.
Später folgte die CD. Zunächst gab es noch eine Fraktion, die sich dem neuen Medium hartnäckig verweigerte. Der digitale Klang sei unnatürlich, härter, man höre die feinen Nuancen der Musik nicht mehr. Aber: Kein Knistern, keine Kratzer, kein Bandsalat – den handfesten Vorteilen der dünnen Silberscheiben konnten sich die Menschen auf Dauer nicht entziehen. Langspielplatte? Tonbandgerät? Kassettenrekorder? Bald waren sie aus dem Alltag verschwunden.
Ähnlich ist es mit dem Stand der Medizintechnik. Meine ersten digitalen Hörgeräte bekam ich 1995. Es waren die ersten echten digitalen Hörgeräte überhaupt. Ich erinnere mich noch, wie ich mit Staunen bemerkte, dass während der Autofahrt die Windgeräusche nach etwa zehn Sekunden in den Hintergrund traten. Die Sprache aus dem Radio aber behielt ihre Stärke. Diese Geräte hatten schon eine echte Störgeräuschunterdrückung! Wieder und wieder schaltete ich die Hörgeräte aus und wieder ein, um jedes Mal neu dieses Wunder zu erleben, wie die Sprache aus dem Tosen des Autos hervortrat.
Auch gegen diese neue Technik gab es Bedenken. Der digitale Klang sei auch hier unnatürlich, härter, man höre die feinen Nuancen nicht mehr. Dann aber wurden neue Möglichkeiten entwickelt, das Sprachverstehen mithilfe der Digitaltechnik in immer komplexeren akustischen Situationen zu verbessern, teilweise erstmals möglich zu machen. Möglichkeiten, die in der alten, analogen Welt schlicht nicht gegeben waren. Vor drei Jahren haben die Krankenkassen die Digitaltechnik dann endlich zum Stand der Medizintechnik erklärt.
Nicht nur die Digitaltechnik, auch Internet, Smartphone und Drahtlosnetze bescheren uns hörbeinträchtigten Menschen immer neue Möglichkeiten, am kommunikativen Leben im privaten und öffentlichen Bereich teilzunehmen. Gerade wir haben gute Gründe, technisch am Puls der Zeit zu bleiben. Wir dürfen die neuen Techniken als Bereicherung begreifen und sollten uns jederzeit aktiv auf sie einlassen.
Mit herzlichen Grüßen
Norbert Böttges
Vizepräsident des DSB
Neues aus den Verbänden
- Gemeinsam die Spitze erreichen
Einmal im Jahrtreffen sich die Mitglieder des Europäischen Verbands der Hörgeschädigten (EFHOH) zum Austausch. Diesmal kamen die Teilnehmer Anfang April in Paris zusammen. Autor Stephan Wilke fasst in diesem Beitrag die Tagungsinhalte zusammen und gewann daraus auch eine wichtige Erkenntnis für den Alltag aller hörbeeinträchtigten Menschen.
- Start in Berlin
Anfang April trat Andreas Kammerbauer seine Stelle als Sozialpolitischer Referent beim Deutschen Schwerhörigenbund (DSB) in Berlin an. Als langjähriger Vizepräsident des DSB sowie durch viele andere Funktionen und Ämter ist er in der sozialpolitischen Szene alles andere als ein Unbekannter. Entsprechend kräftig startete er in seinen neuen Job durch. Lesen Sie hier seinen Bericht der ersten beiden Wochen und gewinnen Sie so einen Eindruck, was politische Interessenvertretung bedeutet.
- Hören. Verstehen. Engagieren.
Das Credo des Deutschen Schwerhörigenbundes
Die Zeiten ändern sich. Es gibt sie nicht mehr, die Tante-Emma-Läden mit ihrem oft bewundernswerten, aus langjähriger Intuition handgestrickten Warensortiment und ihrer manchmal herzlichen, zuweilen aber auch kauzigen oder gar ruppigen Bedienung. An ihre Stelle sind moderne Handelsgeschäfte getreten. Ihr Warensortiment ist systematisch aufgestellt und wird mithilfe von Warenwirtschaftssystemen ständig optimiert. Zwischen den Regalen und an den Kassen treffen wir auf fachlich geschulte und informierte Mitarbeiter. Sogar deren Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft überlassen die Handelsketten heute nicht mehr dem Zufall, sondern wirken professionell auf ein zuverlässiges, offenes und jederzeit zuvorkommendes Auftreten ihrer Mitarbeiter hin.
Teilhabe / Rehabilitation
- Hörtraining: Bewusster Hören lernen
Die Idee, unser Gehör durch gezielte Hörbeispiele zu schulen, ist nicht neu. Solche Hörtrainings fristeten allerdings lange ein Schattendasein. Erst seit einiger Zeit werden sie von Hörakustikern stärker im Rahmen der Hörgeräteanpassung eingesetzt und auch zur Rehabilitation angeboten. Mit dem Triton-Hörtraining ist vor einigen Monaten ein neues Verfahren an den Start gegangen. Unser Kölner DSB-Mitglied Marion Kempert war neugierig und hat es ausprobiert.
- Leserbrief
Inklusion an der Tafel: Koordinierungsstelle klärt Ansprüche
Im Erfahrungsbericht der hörbeeinträchtigten Lehrerin Natalia Brouwers erkannte sich unsere Leserin Brigitte Löchner wieder. Sie möchte mit ihrem Leserbrief zur Thematik noch einen eigenen Tipp beisteuern.
- Ferndolmetschen: Praktische Onlinehilfe
Bei Veranstaltungen, an denen hörbeeinträchtigte Menschen beteiligt sind, sollte der Einsatz von Schriftdolmetschern selbstverständlich sein. Bisher mussten dafür zwei Schriftdolmetscher vor Ort sein. Das Internet ermöglicht es inzwischen, dass das Schriftdolmetschen auch aus der Ferne stattfinden kann. Das und wie es funktioniert, erlebten die Kölner DSB-Mitglieder auf ihrer Jahreshauptversammlung.
- Über den Vorteil der Schwerhörigkeit
Harald Martenstein hat in seiner Glosse im "ZEIT Magazin", Ausgabe 9/2016, sehr hintergründig, locker und treffend über seine Erlebnisse und, naja, Vorteile der Schwerhörigkeit geschrieben. Wir danken ihm und der Zeitschrift für die Erlaubnis des Nachdrucks.
Termine / Veranstaltungen
- Burn-out: Stärken Sie Ihre seelische Gesundheit
Sozialpolitik/Recht/Bauen
- Hörtagebuch ermöglicht höhere Kostenübernahme für Hörsysteme
Im klassischen vergleichenden Test beim Hörakustiker schneiden Kassenhörgeräte immer öfter gleichauf mit teureren Alternativen ab – und das auch bei der Messung im Störgeräusch. Trotzdem empfinden Nutzer oft erhebliche Unterschiede beim Sprachverständnis in verschiedenen Alltagssituationen. Ein aktuell veröffentlichtes Urteil des Sozialgerichtes Aachen entwirrt diese Situation und weist neue Wege aus dem Dilemma.
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Update: 27.06.2016