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Deutscher Schwerhörigenbund e. V.

Spektrum Hören 4 / 2017

  • Vorwort des Vizepräsidenten des DSB e.V., Dr. Norbert Böttges

Liebe Leserinnen und Leser!

Das Superwahljahr 2017 hat uns in den ersten Monaten drei spannende „Vorwahlen“ beschert. Die Bundeszentrale für politische Bildung bietet im Internet schon seit Jahren den „Wahl-O-Mat“ an, der sich wunderbar zur kompakten Wahlvorbereitung nutzen lässt. Er beruht auf einer Analyse der Kernaussagen der Parteien in ihren öffentlichen Äußerungen und Programmen. In diesem Jahr habe ich mir den Spaß gemacht und mich durch die für Nordrhein-Westfalen (NRW) gestellten 48 Fragen gearbeitet. Überraschend für mich war zunächst, welche Themen alle zur Landespolitik gehören: von der Bildungs- über die Sicherheits-, Sozial-, Straßenverkehrs-und Baupolitik bis hin zu Themen wie Braunkohle, Naturschutz oder Sport. Schnell musste ich einsehen: Die im Großen und Ganzen positiven Erfahrungen, die ich in den vergangenen beiden Jahren im Bereich der nordrhein-westfälischen Landessozialpolitik gesammelt habe, würden für die Entscheidung der Wähler nur am Rande ausschlaggebend sein. Reizworte wie „NRW = Stauland“, „Inklusion“ oder „Silvesternacht“ gewannen für mich auf einmal den ihnen gebührenden Stellenwert. Und es wurde mir klar, dass auch für meine eigene Wahlentscheidung mehr zu beachten sein würde als das Inklusionsstärkungsgesetz oder die neuen Kompetenzzentren für Sinnesbehinderungen.

In NRW – wie zuvor schon in Schleswig-Holstein – haben die Wähler für den Wechsel gestimmt. Zu viel lag quer, und nach fünf Jahrzehnten fast ununterbrochener Regierungszeit in NRW ist ein Wechsel sicher auch allein vom demokratischen Prinzip her ein respektabler Schritt. Interessant wird nun werden, wie sich die neuen Regierungsparteien im Feld der Sozialpolitik aufstellen. Aus der vergangenen Oppositionszeit sind mir hier nur Haudrauf-Aktionen mit unklarer Zielrichtung in Erinnerung. Die Regierungsverantwortung wird die Parteien jetzt dazu zwingen, daraus nachhaltige Politik zu machen.

Einen ersten Eindruck davon haben wir bereits bekommen: Die neue Koalition in NRW will den Bestand der Förderschulen erhalten und hierzu die Mindestschülerzahlen herabsetzen. Dies ist eine klare Kehrtwende in Sachen Inklusion. Nach Zeiten der möglichst kompromisslosen Beschulung aller Schüler in Regelschulen soll jetzt offenbar wieder die gezielte Förderung in Sondereinrichtungen propagiert werden. Sicher: Das widerspricht den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention. Aber Politik ist ja auch die Kunst, Widersprüche sprachlich miteinander zu vereinen und unter der Fahne des politisch Korrekten das zu tun, was man insgeheim für besser hält. Möglicherweise kommt jetzt mehr Ehrlichkeit ins Spiel. Denn ich muss zugeben, das große Ziel der Inklusion schien mir manches Mal ungut ideologisch überhöht, wenn man weißmachen wollte, dass damit auch noch Geld zu sparen sei. Nein: Teilhabe von Menschen mit Behinderung kostet Geld. In der Schule und auch im öffentlichen Raum. Das Geld ist auch da. Wer aber nicht bereit ist, die Prioritäten entsprechend zu setzen, taugt gut zum Sonntagsredner, lässt die Betroffenen aber im Regen stehen.

Mit herzlichen Grüßen
Norbert Böttges
Vizepräsident des DSB

Sozialpolitik / Recht / Bauen

  • Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: Überarbeitung nötig.

Nach langem Tauziehen beschloss vor elf Jahren der Deutsche Bundestag am 29. Juni 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dieses Gesetz soll Menschen in Beruf und Alltag vor Diskriminierungen aufgrund des Alters, einer Behinderung, der ethnischen Herkunft, aus rassistischen Gründen, wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung sowie der sexuellen Identität schützen. Im Unterschied zum Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) regelt das AGG nicht nur Rechte gegenüber staatlichen Stellen, sondern auch gegenüber privaten Akteuren. Mehr als zehn Jahre nach seiner Verabschiedung steht in der nächsten Legislaturperiode eine Überarbeitung des Gesetzes an. Zeit, sich mit dem AGG zu beschäftigen und Bilanz zu ziehen.

Neues aus den Verbänden

  • Gemeinsam mehr erreichen.

Nach drei Jahren Interimszeit und weitgehender Inaktivität hat die Gesellschaft der Gehörlosen und Schwerhörigen in Nordrhein-Westfalen (GGS NRW) einen neuen Vorstand gewählt. Damit ist der Dachverband wieder handlungsfähig und die Grundlage für Austausch und Zusammenarbeit zwischen den Selbsthilfe- und Fachverbänden der Hörgeschädigten in Nordrhein-Westfalen wieder hergestellt.

  • Die inklusive Zukunft im Blick

Future Loops – die Zukunft der Höranlagen – lautet das Motto des diesjährigen Internationalen Kongresses zu Höranlagen und Barrierefreiheit des Internationalen Schwerhörigenverbandes (IFHOH). Dazu lädt der Deutsche Schwerhörigenbund e.V. (DSB) vom 6. bis 8. Oktober nach Berlin ein. Im Mittelpunkt stehen Fragen wie: Wo geht die technische Entwicklung hin? Wie sieht die Zukunft der Teilhabe schwerhöriger Menschen an der Gesellschaft aus?

  • Nachfolger gesucht!

Wiederholt haben wir in unseren vorherigen Ausgaben über den Stand der Einrichtung eines barrierefreien Notrufes für hörgeschädigte Menschen in Deutschland berichtet – so auch in dieser Ausgabe. Die endgültige, den heutigen technischen Möglichkeiten entsprechende Lösung ist immer noch nicht erreicht. Mehr als 15 Jahre zeichnete Klaus Büdenbender im Deutschen Schwerhörigenbund e. V. (DSB) für dieses Thema verantwortlich. Jetzt gibt er seine Aufgabe im Fachgebiet „Barrierefreier Notruf “ ab. Da heißt es: Nachfolger gesucht!

Teilhabe / Rehabilitation

  • Notruf für Hörgeschädigte jetzt rund um die Uhr verfügbar.

Neue Besen kehren gut. In der vorigen Ausgabe von „Spektrum Hören“ haben wir ausführlich über den kostenlosen Notruf für hörgeschädigte Menschen über die Tess- Relay-Dienst GmbH berichtet. Dieser bietet im Falle eines Falles von zuhause und unterwegs eine durch Schrift- oder Gebärdensprachdolmetscher unterstützte direkte Kommunikation mit der jeweils örtlich zuständigen Notrufzentrale. Die notwendige Darstellung von Schrift oder Gebärden erfolgt dabei auf dem Bildschirm eines handelsüblichen PC, Smartphones oder Tablets. Wesentliches Manko des Angebotes war, dass der Dienst bisher nachts nicht verfügbar war. Dieses Unding hat die neue Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries Anfang des Jahres zur Chefsache erhoben. Und der Bundesstag hat mittlerweile geliefert.

  • Auch Dienstleistungen haben Hörbarrieren

Haben Sie das auch schon einmal erlebt? Am Fahrkarten- oder Bankschalter können Sie Ihr Gegenüber nur schlecht verstehen? Verstohlen versuchen Sie, auf dem Computerbildschirm den angesagten Betrag zu erkennen? In einem Beratungsgespräch verstehen Sie trotz Nachfragen und höchster Hörkonzentration wichtige Einzelheiten nicht? Und hoffen, vor Vertragsunterschrift durch hektisches Querlesen noch ein paar Informationslücken schließen zu können? Eine Zielvereinbarung könnte das nun ändern.

  • Wege zur Teilhabe mit Hörbeeinträchtigung

Die Hessische Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen hat ihren Ratgeber „Wege zur Teilhabe mit Hörbeeinträchtigung“ neu aufgelegt. Die 80-seitige Broschüre im lesefreundlichen A4-Format richtet sich an Betroffene und ihre Angehörigen sowie an Multiplikatoren, die mit hörbeeinträchtigten Menschen zu tun haben und zur Verbesserung von deren Lebensumständen beitragen wollen.

  • Qualiziert um zu helfen

Mehr als 50000 Menschen in Nordrhein-Westfalen sind so stark hörbehindert, dass sie trotz technischer Hilfen in vielen Situationen Sprache nicht akustisch verstehen können. Durch einen Hörsturz kann jeder von heute auf morgen zu dieser Gruppe gehören. Wer auf diese Weise „spätertaubt“, muss nicht die komplexe Gebärdensprache lernen, um weiterhin an Vorträgen, Veranstaltungen und gesellschaftlichen Ereignissen teilzuhaben. Dasselbe ist mit Hilfe von Schriftdolmetschern möglich, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention als Menschenrecht verbrieft.

  • Sport unter Gleichgesinnten

Zwar haben schwerhörige Menschen es „nur“ an den Ohren und nicht unbedingt an den Beinen. Trotzdem stellen sich beim Sport für Hörbeeinträchtigte besondere Aufgaben. Den Trainer auch auf Abstand zu verstehen oder sich im Teamsport mit den anderen Mitspielerinnen und Mitspielern zu verständigen ist keine Selbstverständlichkeit. Bei schweißtreibenden Sportarten stellt sich die Frage, wie mit der Technik umzugehen ist. Gut zu wissen, dass es den Deutschen Schwerhörigen-Sport-Verband e.V. (DSSV) gibt. Er organisiert nicht nur Trainings, Meisterschaften und Sportfreizeiten, sondern steht bei besonderen Fragen auch mit praktischen Erfahrungen bereit.

Termine / Veranstaltungen

  • Rückblick auf bemerkenswerte Geschichte

Der Landesverband Nordrhein-Westfalen des Deutschen Schwerhörigenbundes traf sich am 28./29.04.2017 zu seiner diesjährigen Jahreshauptversammlung. Gleichzeitig konnte der im Jahr 1947 gegründete Verband auf sein 70-jähriges Bestehen zurückblicken.

Update: 15. Juni 2017