Spektrum Hören 1/2018
Vorwort des Vizepräsidenten des DSB e.V., Dr. Norbert Böttges
Liebe Leserinnen und Leser,
Ein Drittel aller Menschen hört bis ins höchste Alter gut. Für mich ist das immer wieder eine besondere Erkenntnis. Und ich kann mich daran freuen: Wie schön ist es, sein ganzes Leben ungeschmälert an Gesprächen teilnehmen und ungetrübt Musik und die Klänge der Natur wahrnehmen zu können. Das ist jedem zu gönnen. Wenn es aber eines Tages bei Ihnen nicht so kommt – dann befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Denn den meisten geht es so. In einer solchen Situation wird offenbar, ob Sie gelernt haben, Einschränkungen bei anderen positiv anzunehmen oder Sie sich gerne über „den alten Mann mit Krückstock“ oder „die taube Nuss“ lustig gemacht haben. Wer seine Wertschätzung für andere immer an ihrer körperlichen Fitness festgemacht hat, vor dem tut sich dann ein Loch auf.
Glücklicherweise bewegen wir uns in eine andere Richtung. Wir haben in den vergangenen Jahren gelernt, dass die Würde des Menschen nicht jenseits der Grenzen von Religion, Geschlecht und Herkunft gilt, sondern auch jenseits der Grenzen von Behinderung, Krankheit und – ja, man denke nur: sexueller Orientierung. Wir werfen die abgenutzten Tabus über Bord und arbeiten uns nicht mehr an dummen Sprüchen ab. Wir leben in einer bunten Gesellschaft und beginnen langsam, Freude daran zu bekommen. Jeder hat seinen Platz, jeder hat seinen Wert, und der Maßstab ist nicht Fitness, Arbeitsfähigkeit oder kommerzielle Verfügbarkeit.
Der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, Franz Müntefering, sprach kürzlich das Klischee an, jung sein zu wollen. „Es kommen immer wieder Menschen zu mir, die fragen mich: Wie alt fühlen Sie sich? Dann sage ich ihnen: Siebenundsiebzig. Sie antworten darauf: Wir wollten nicht wissen, wie alt Sie sind, sondern wie alt Sie sich fühlen… Und ich bleibe dann dabei: Ja, ich fühle mich wie siebenundsiebzig. Und bin froh und dankbar, dass ich meinem Alter entsprechend leben und handeln kann.“
Viele Menschen leiden weniger unter ihren Einschränkungen als vielmehr unter einer Isolation oder Vereinsamung. Wer nicht mit einer großen Familie gesegnet ist, muss andere Formen der Gemeinsamkeit finden. Und wer mit kommunikativen Einschränkungen zu tun hat, muss auch hierfür geeignete Maßnahmen ergreifen, um weiterhin am Leben teilnehmen zu können. Müntefering sprach dabei von einer „Holschuld“: selbstverantwortlich sein, seine Möglichkeiten erkennen und entwickeln.
In dieser Ausgabe finden Sie einen ganzen Strauß guter Beispiele für Initiative und Selbstverantwortlichkeit. Lesen Sie, wie ein Aachener Bürger die Städteregion am Dreiländereck aufgemischt und sich für die Verbreitung von Induktiven Höranlagen im öffentlichen Raum stark gemacht hat. Lesen Sie, wie Besucher der Berliner IFHOH-Konferenz die Berliner Museen hörtechnisch auf Trab bringen. Oder lesen Sie, wie ein Mann in fortgeschrittenen Jahren dem DSB gezeigt hat, wie man ein Tablet für die Kommunikation mit seiner ertaubten Frau nutzbar macht.
Ein Vorsatz für das neue Jahr: Halten Sie Anschluss! Engagieren Sie sich - für Ihre eigene Teilhabe und für andere! Es gibt viele Gelegenheiten dazu, nicht zuletzt als Mitglied im Deutschen Schwerhörigenbund.
Mit herzlichen Grüßen
Dr. Norbert Böttges
Vizepräsident des DSB
Sozialpolitik/Recht/Bauen
- Die Welt steht nicht still
Den Fortschritt der Medizintechnik bei Hörsystemen haben wir in „Spektrum Hören“ 1/2017 („Die Welt steht nicht still“) analysiert und daraus konkrete Anforderungen an aktuelle Hörsysteme abgeleitet, die im Rahmen der Kostenübernahme durch die Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zu erfüllen sind. Inzwischen haben GKVen den Verbänden der Selbsthilfe die Überarbeitung ihres "Festbetragsgruppensystems“ zur Stellungnahme vorgelegt. Neben einigen Verbesserungen bei der Vorgehensweise fehlt in der vorgeschlagenen Überarbeitung allerdings das Entscheidende: die Anpassung an den aktuellen Stand der Technik.
- Die T-Spule am Ohr erspart den Leitungssucher
Neulich galt es bei uns im Flur ein Bild aufzuhängen. Aus der Bauphase unseres Hauses erinnerte ich mich, dass irgendwo an dieser Stelle der Hauptstrang der Elektroleitungen vom Keller ins Obergeschoss verlaufen musste. Da wollte ich nichts falsch machen...
Teilhabe/Rehabilitation
- Induktiv besser verstehen: Aus einer Idee wird eine Bewegung
Auf der internationalen Konferenz „Future Loops“ in Berlin stellten Aktive aus verschiedenen Ländern und Kontinenten ihre Bewegungen zur Propagierung Induktiver Höranlagen für hörgeschädigte Menschen im öffentlichen Raum vor. Bereits 2012 hat auch Erich Stier in Aachen eine in Deutschland einmalige Initiative ins Leben gerufen, mit der er die Einführung von Höranlagen in der Städteregion Aachen ganz entscheidend vorantreiben konnte. Lesen Sie hier seinen persönlichen Erfahrungsbericht – durchaus mit dem Hinweis: „Zur Nachahmung empfohlen“.
- Wie steht es um die Barrierefreiheit der Gebäude?
Der Expertenkreis der Bundesfachstelle Barrierefreiheit besteht mehrheitlich aus Vertreterinnen und Vertretern der Verbände von Menschen mit Behinderung und berät die Bundesfachstelle bei allen Themen, Vorhaben, Fragestellungen, Bedarfen oder Forschungsfragen zur Barrierefreiheit. Auch der Deutsche Schwerhörigenbund ist Mitglied im Expertenkreis. Die Mitglieder trafen sich jüngst im Oktober 2017.
- Neues aus Schilda Gegenwehr gefragt
Seit 2002 haben Menschen mit einer Hörbehinderung das Recht auf Kommunikationsunterstützung, sei es durch Gebärdensprach- oder Schriftdolmetscher oder durch andere geeignete Hilfsmittel. Im Bereich der Sozialversicherung, der Rechtsprechung und insgesamt der öffentlichen Träger kommen die Kostenträger, die Gerichte oder die Körperschaften des öffentlichen Rechts für die Kosten auf. Wenn es darum geht, dieses Recht wahrzunehmen, fühlt man sich allerdings manchmal wie in einer Schelmengeschichte aus Schilda. – Zwei Beispiele aus den vergangenen Monaten.
- Zaubertafel in digitaler Form
Kennen Sie noch die gute alte Zaubertafel? Sie gehörte viele Jahre zum Begleitgepäck vieler Menschen mit Höreinschränkungen. Immer wenn es etwas Wichtiges zu verstehen gab, wurde sie gezückt und Namen, Worte, Zahlen oder auch kurze Sätze aufgeschrieben. Anschließend, mit einem Ratsch, war das Geschriebene wieder gelöscht und die Zaubertafel für neuen Gebrauch bereit. Diese Zaubertafel könnte jetzt, in digitalisierter Form, wieder in den Alltag von uns Hörgeschädigten zurückkehren.
Termine/Veranstaltungen
- IFHOH und die Folgen – Ein kleines Beben in Berlin
Dass unter den internationalen Teilnehmern der IFHOH-Konferenz „Future Loops“ im vergangenen Oktober in Berlin auch eine Reihe kulturinteressierter Gäste waren, bekamen zwei Berliner Museen zu spüren. Denn nach der Konferenz schwärmten die Gäste aus, um von ihrer Reise auch ein bisschen Kultur mit nach Hause zu nehmen. Dabei machten sie so ihre Erfahrungen…
- 50 Jahre Engagement für Autonomie, Selbstbestimmung und Teilhabe
Unter Beteiligung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier feierte die BAG SELBSTHILFE im Herbst 2017 ihr 50-jähriges Bestehen. Als Dachorganisation von 120 bundesweiten Selbsthilfeverbänden behinderter und chronisch kranker Menschen –darunter auch der Deutsche Schwerhörigenbund und der Gehörlosenbund – ist sie einer der wichtigsten Akteure bei der Entwicklung einer Gesellschaft zu Teilhabe und Inklusion. Darüber hinaus agiert sie als ein entscheidender Motor bei der Patientenbeteiligung im deutschen Gesundheitswesen.
- Gelebte Inklusion auf der Rehacare 2017
Die internationale Fachmesse für Hilfsmittel und Verfahren der Rehabilitation (Rehacare) in Düsseldorf fand im Oktober 2017 parallel zur internationalen Konferenz „Future Loops“ statt. Das stellte die Verbände der Hörgeschädigten vor große personelle Herausforderungen, die sie aber dank des Einsatzes vieler ehrenamtlicher Helfer mit Bravour meisterten.
- Jubiläumsfeier
Im November 2017 feierte die Hessische Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen e. V. ihr 50-jähriges Jubiläum. Sitz der Gesellschaft ist Oberursel. Sie ist die Dachgesellschaft der Selbsthilfe- und der Berufsverbände der Hörgeschädigtenarbeit in Hessen.
- Ankündigung Fachtagung der DCIG: CI-Versorgung – machen wir alles richtig?
Vom 25. bis 27. Mai 2018 findet in Hamburg die 6. Fachtagung der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft (DCIG) statt. Unter dem Thema „Erfolg in der CI-Versorgung – machen wir alles richtig?“
diskutieren Betroffene und Fachleute verschiedener Disziplinen diese grundlegenden und zukunftsweisenden Fragen.