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Deutscher Schwerhörigenbund e. V.

Ausgabe 01/2024

Liebe Leserinnen und Leser,

im vergangenen Jahr hat uns die zweite Staatenprüfung zum Stand der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland begleitet. Der Abschlussbericht ist mit 17 Seiten denkbar kurz. Er enthält eine halbseitige Aufzählung von einigen Ereignissen, die als „positive Aspekte” gewürdigt werden. Die restlichen 76 Seiten widmen sich 35 „areas of concern" was man wohl mit „Sorgenkindern” übersetzen kann, und dazu gehörigen Empfehlungen.

Zum Glück gibt die Kommission einen Hinweis auf drei Empfehlungen mit „besonders dringenden Maßnahmen, die ergriffen werden müssen." (Tatsächlich: „müssen") Dabei geht es um drei Kernstücke der deutschen Behindertenarbeit: die Werkstätten, die besonderen Wohneinrichtungen und die Sonderschulen für Menschen mit Behinderungen. Ohne Umschweife bezeichnet der Bericht diese Einrichtungen als Form der „Segregation" also der Abtrennung, und stellt fest, dass sie in offenem Widerspruch zum zentralen Begriff der Inklusion in der UN-Konvention stehen. Folgerichtig fordert die Kommission von der deutschen Politik einen umfassenden Plan für den Übergang von diesen spezialisierten Einrichtungen hin zu einer inklusiven Aufnahme aller Betroffenen in die Regelschulen und den allgemeinen Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Einen Plan mit Zielen, Zeiten, Ressourcen sowie klaren Verantwortlichkeiten für die Umsetzung.

In ihrer Unmissverständlichkeit sind diese Aussagen für uns Deutsche schwer verdaulich. Wir haben uns in den letzten 60, 70 Jahren diese besonderen Einrichtungen erarbeitet, sie gesetzlich verankert und große Institutionen darum herum errichtet. Wir haben uns daran gewöhnt, die Aufbewahrung von Menschen mit Behinderungen in Sondereinrichtungen als vorbildlich zu betrachten. Und auch daran, dass wir das „normale Leben” in unseren Schulen, Häusern und Arbeitsstätten auf diese Weise mit den Aspekten, Mühen und Kosten von Barrierefreiheit und sozialer Integration nicht belasten mussten. Das soll nun alles falsch sein?

Ja, das soll nun alles falsch sein. Die Frage der Sondereinrichtungen betrifft auch uns Menschen mit Hörbeeinträchtigungen. Sie ist auch unter uns nicht unumstritten. Mit flotten Sprüchen wie „Besondere Wohnformen sind Bestandteil der Inklusion” kommen wir hier jetzt nicht mehr durch. In der mündlichen Verhandlung in Genf wurden solche Äußerungen als Versuch einer mutwilligen „Redefinition” des Begriffs Inklusion abgewiesen. Warum aber ist in diesem Punkt die ganze Welt gegen uns? Ist vielleicht doch etwas dran an dieser „menschenrechtlichen Sicht” von Inklusion?

Wir können uns jetzt überlegen, wie wir mit dieser Kritik umgehen. Offen gesagt: Akzeptieren und umsetzen scheint mir außer Reichweite. Ablehnen ? Aussitzen? - Einen offenen Ausweg aus diesem Dilemma lernte ich neulich von einer Selbsthilfevertreterin auf einer Veranstaltung des Landschaftsverbands Rheinland. Machen wir Schulen, Arbeitsplätze und Wohnungen doch endlich ehrlich und umfassend inklusiv! Nicht nur rollstuhl- und hörgerecht, sondern auch inhaltlich, pädagogisch und sozial allgemein offen, nutzbar und menschenfreundlich. Und lassen wir dann den Menschen eine echte freie Wahl: zwischen Werkstätten, Sonderschulen und Wohneinrichtungen - und der übrigen Welt. Klar: Auch das erfordert eine klare Richtungsentscheidung und nachhaltige Anstrengungen. Am Ende aber stünde eine Gesellschaft, in der Menschen von jung bis alt mit und ohne Behinderungen selbstverständlich, willkommen und in gemeinsamer Werteschätzung zusammenleben, lernen, wohnen und arbeiten. Ob sich  das nicht lohnt?

Ihr
Norbert Böttges

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