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Deutscher Schwerhörigenbund e. V.

Wer nicht hören kann muss (ab-)sehen

Übungen zur Selbstermutigung und Entspannung der Augen

Die Kunst, das natürlich gesprochene Wort von jedem Mund abzulesen, ist für Schwerhörige und Ertaubte von unschätzbarer Bedeutung. Nicht wenige unter den Schwerhörigen und Erlaubten ziehen sich nach und nach aus ihrer Umgebung zurück. Sie scheuen den Umgang mit den Hörenden, die sie doch nichtverstehen können und werden mit der Zeit zu Eigenbrödlern.

Vielen ist das Hörgerät ein guter Helfer aus dieser Not. Auch wer mit dem Hörgerät wieder neu verstehen lernen muß, weil es dem Ohr auch unangenehme und lästige Laute vermittelt, sollte sich der Mühe regelmäßiger Hörübungen nicht verschließen. Das Hörgerät wurde für das schwerhörende Ohr entwickelt. Sein Platz ist nicht in der Schublade.

Doch bei allen Vorzügen eines Hörgerätes kann seine Hilfe - entsprechend seiner Technik - nur begrenzt sein. Der Hörgeschädigte, der sich nur auf sein Hörgerät verläßt, bekommt es häufig zu spüren, daß dieses Gerät - aus welchem Mangel auch immer - ihn hin und wieder im Stich läßt. Jedem Hörgeräteträger sollte man darum mit dem ersten Hörgerät auch den Rat mitgeben, das Absehen vom Mund zu erlernen.

Durch sein Gehörleiden ist der Hörgeschädigte oft sehr nervös. Das ständig gespannte Hinhören, um jedes Wort in einem Gespräch richtig aufzunehmen, strengt die Nerven an und überansprucht sie nicht selten.

Darum sollte der Hörgeschädigte sich mehrmals am Tage für einige Minuten zurückziehen, um seine überreizten Nerven, seine Augen (die doch weitgehend das Gehör ersetzen sollen) und seinen Körper zur Ruhe zu bringen. Durch ständige Übung kann man sich selbst beeinflussen, so sehr, daß die Nerven zur Ruhe kommen, und daß das Absehen vom Mund weniger Schwierigkeiten bereitet. Die Ängstlichkeit und die beständige Furcht, sich durch falsches Absehen lächerlich zu machen, das lähmende Gefühl, die Normalhörenden seien den Schwerhörigen überlegen, lassen sich überwinden.

Versuchen wir es, mit folgenden Übungen Ruhe und Zuversichtlichkeit zu erlangen, die das Selbstvertrauen stärken, das zum Absehen unbedingt notwendig ist.

Nehmen Sie einen Spiegel zur Hand und sprechen Sie langsam und gut artikulierend folgende Sätze vor dem Spiegel:

1. Übung

  • Heute sehe ich gut ab.
  • Bei Angehörigen und Verwandten sehe ich fließend ab.
  • Ich kann mich jetzt auch mit fremden Personen gut unterhalten.
  • Wo ich auch immer eine Person sprechen sehe, ich lese ihr alles vom Mund ab, was sie spricht.

2. Übung

  • Schließen Sie die Augen und sprechen Sie in Gedanken langsam jeden Satz der 1. Übung.
  • Fügen Sie anschließend fünfmal leise hinzu: Heute lese ich alles ab.
  • Sprechen Sie viermal halblaut: Auch bei fremden Personen lese ich alles gut ab.
  • Sprechen Sie zweimal laut: Ich lese jetzt jedem vom Mund ab, was er spricht.
  • Sprechen Sie einmal laut: Bei allen Personen lese ich gut ab.
  • Stellen Sie sich vor - etwa zwei Minuten - Sie seien in einer Gesellschaft und alle würden über Ihre Fertigkeit vom Mund abzusehen staunen.

3. Übung

  • Ich sehe jetzt alles ab und bin fest entschlossen, mich vor keiner Gesellschaft zu drücken.
  • Meine Ängstlichkeit ist völlig verschwunden. Meine täglichen Sprech- und Absehübungen
    machen mir Mut.
  • So gut wie ich bei meinen Angehörigen absehen kann, so gut kann ich es auch bei anderen.
  • Das Absehen in der Gesellschaft macht mir Vergnügen. Mir macht es nichts mehr aus, daß ich
    (nichts mehr) schlecht höre.

4. Übung

  • Schließen Sie die Augen und sprechen Sie in Gedanken langsam jeden Satz der 3. Übung.
  • Fügen Sie viermal leise hinzu: Ich bin gut zum Absehen aufgelegt.
  • Sprechen Sie zweimal halblaut: Das Absehen macht mir viel Freude. Meine Sprache hat
    sich merklich gebessert.
  • Sprechen Sie einmal laut: Ich habe viel Freude am Absehen. Ich kann sehr gut absehen.

Wie man eine Fremdsprache nur durch Sprechen lernt,
so lernt man auch das Absehen nur durch - Absehen!

Lassen Sie sich zur Ermutigung (und Aufmunterung) folgende Sätze vorsprechen,
(wenn möglich zweimal am Tage).

1. Übung (je einmal laut)

  • Du siehst jetzt gut ab. Du bist ein ganz anderer Mensch geworden
  • Bei jeder Unterhaltung bist Du immer frisch dabei.
  • Ich freue mich, wie Du mit Vergnügen an allen Unterhaltungen teilnimmst.
  • In jeder Gesellschaft nimmst Du gerne an den Unterhaltungen teil.
  • Mit viel Frohsinn forderst Du alle zur Unterhaltung heraus.
  • Von Deiner früheren Mutlosigkeit ist nichts mehr zu spüren. Du siehst bei jedem alles ab.

2. Übung (je einmal laut)

  • Du hast beim Absehen viel Erfolg.
  • Du siehst bei Unterhaltungen alles richtig ab.
  • Alle staunen, wie gut Du absehen kannst.
  • Wir sind alle verwundert, wie gut Du absehen kannst.
  • Du siehst so gut ab, als würdest Du normal hören.
  • Bei Unterhaltungen bist Du ruhig und gelassen.
  • Du zeigst keine Spur von Aufregung.
  • Mit dieser Ruhe und Ausgeglichenheit kannst Du Dich sorglos an jeder Unterhaltung beteiligen.

3. Übung (je einmal laut)

  • Heute siehst du gut ab
  • Bei Angehörigen und Verwandten siehst du gut ab
  • Du kannst Dich jetzt auch mit fremden Personen gut unterhalten

Die 2. Übung ist auch - als Übung allein - vor dem Einschlafen am Abend und am Morgen gleich nach dem Erwachen zu empfehlen.

Dabei ist - wie bei allen Übungen dieser Art - zu beachten, daß die Sätze immer in der Gegenwart gesprochen werden (nie in der Zukunft!), also nie: "ich werde gut absehen" sondern: "ich sehe gut ab".

Alle Sätze dieser Übungen lassen sich natürlich auch entsprechend abwandeln.

Die Übungen wollen den Mut zum Absehen bestärken oder zu neuem Mut zurückführen. Die Fertigkeit im Absehen vom Mund steigert sich mit jeder Übung. Das Auge wird bald nicht nur die einzelnen Laute erkennen, sondern auch Wörter und Sätze, so wie es beim Lesen eines Buches nicht nur die einzelnen Buchstaben und Silben erfaßt, sondern den ganzen Satz. Wie auch Handschriften je nach ihrer Deutlichkeit gut oder schlecht zu lesen sind, so ist auch das Gesichtsbild des Sprechenden seiner Aussprache gemäß gut oder schlecht zu erkennen.

Beim Erlernen des Absehens kann es zu einer Krise kommen, in der man den Eindruck hat, man werde das Absehen nie erlernen. Lassen Sie sich durch nichts beeindrucken. Machen Sie eben langsam weiter. Solche Krisen kommen auch beim Erlernen einer Fremdsprache vor. Der Erfolg liegt im Weitermachen. Es ist davor zu warnen, die Augen allzusehr anzustrengen! Man sollte höchstens eine Viertelstunde ununterbrochen vom Mund absehen. (Wer sein Gehör verloren hat, soll nicht auch seinen Augen schaden!)

Die Augen dienen beim Ablesen vom Mund als Hilfe, das gesprochene Wort zu erkennen. Zu Beginn der Abseh-Übungen spreche man jede Mundbewegung mit; später kann man dies gedanklich tun. Auf diese Weise lernt man, wie die Laute gebildet werden; und mit fortschreitender Übung erfühlen Zunge und Gaumen (zur Entlastung der Augen), was unser Gegenüber spricht.

Wer mit Freude das Absehen vorn Mund fleißig übt, dem kann der Erfolg nicht ausbleiben.

Konzentriertes Absehen über einen Zeitraum von 15 bis 20 Minuten hin ermüdet die Augen.
Sie brauchen Entspannung.

Sobald wir spüren, daß unsere Kombinationsfähigkeit nachläßt, ruhen wir uns ein wenig aus;
wir entspannen uns.

Wir setzen uns in bequeme Haltung und schauen geradeaus. Nun drehen wir die Augen soweit wie möglich nach rechts ohne den Kopf zu bewegen und verharren so etwa 5 Minuten. Dasselbe geschieht nun nach der anderen Seite hin. Jetzt stellen wir uns vor, wir säßen vor einer Uhr. Wir schauen auf die Zwölf und drehen die Augen langsam im Uhrzeigersinn.

Wir wiederholen dasselbe in entgegengesetzter Richtung.
Danach bedecken wir unsere Augen mit den Händen für die Dauer von ungefähr 30 Sekunden.

Wir schauen nun aus dem Fenster in die Ferne und verharren so eine Weile.

Langsam bringen wir den Blick in die Ferne zurück und schließen wieder für eine Weile die Augen.

So schonen wir unsere Augen; und das Absehen macht weniger Mühe.