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Deutscher Schwerhörigenbund e. V.

Ausgabe 03/2021

Liebe Leserinnen und Leser!

Leider erleben wir im Verwaltungshandeln von Kostenträgern und Kommunalbehörden so manche freihändige Umkehr der Rechtslage. Wiederholt berichtet haben wir über das Vorgehen der Krankenkassen, die sich in Anträgen zu Mehrkosten bei Hörgeräten daraufberufen, dass die Hörakustiker vertraglich verpflichtet seien, aufzahlungsfreie Geräte anzubieten, die einen bestmöglichen Hörausgleich im gesamten Alltag - ach im Störgeräusch und in größeren Personengruppen - gewährleisten. Und dass ihre Leistungspflicht damit erfüllt sei.

Beides stimmt nicht. Der im Versorgungsvertrag vorgesehene Vergleichstest hat mit realen Alltagssituationen wenig zu tun. Und höherpreisige Hörsysteme mit aktueller Technik verfügen über eine Vielzahl von Eigenschaften, die in gängigen alltäglichen Situationen ein deutlich besseres Sprachverstehen oder auch die Wahrnehmung von Signalen und Gefahren ermöglichen. Nur Menschen mit einem relativ einfachen Lebensumfeld lassen sich deshalb mit Geräten zum Kassenstandard „dem Stand der Technik entsprechend bestmöglich” versorgen. Und - das ist die zweite lrreführung - die Leistungspflicht der Krankenkasse endet nicht mit dem von den Kassen festgelegten Festbetrag.

Um ihre Position zu untermauern, zählen die Krankenkassen neuerdings gerne die zusätzlichen Funktionen der beantragten Hörversorgung einzeln auf um sie anschließend insgesamt als „Komfortfunktionen" zu bannen. Diese hätten für den Gebrauch im Alltag und das Sprachverstehen keinerlei Bedeutung. Bei näherem Hinsehen stecken hinter den aufgeführten Eigenschaften aber fast ausnahmslos audiologisch bedeutsame Techniken. Sie verbessern zum Beispiel das Sprachverstehen auf Entfernung, mit mehreren Personen und in wechselnden Störumgebungen oder das räumliche Hören und Erkennen von Gefahren im Straßenverkehr. Mit etwas Geduld und Recherche lässt sich die Unterstellung unangemessenen Komforts also weitgehend widerlegen. Welcher Versicherte aber ist dazu in der Lage? So unterliegen viele Versicherte an dieser Stelle - einem simplen Bluff.

Anderes Thema: Schwerbehindertenausweis. Immer öfter lehnen Versorgungsämter Anträge auf (Neu-)Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) bei Cl-Trägern ab. Die Begründung:Aus der Implantation ergäbe sich eine Verbesserung des Hörvermögens, was sich aus dem Audiogramm mit angepasstem Cl ergebe. Und dieses sei der Bewertung zugrunde zu legen.

Auch ein solcher Bescheid ist unrechtmäßig. Unverändert gilt: Eine Schwerbehinderung durch Hörverlust ist auf der Grundlage des Audiogramms ohne technische Hilfsmittel - egal ob Hörgerät oder CI - zu bewerten. Der mögliche Teilausgleich des Hörvermögens durch Hörhilfen ist nämlich bereits in die GdB-Tabellen eingearbeitet. Da ein beidseitig Cl-implantierter Patient ohne Hilfsmittel beidseitig taub ist, steht ihm - ungeachtet eventueller weiterer Beeinträchtigungen - ein GdB von 80 zu. Eine Neufassung der Richtlinien ist zwar im Gespräch, liegt wegen Unstimmigkeiten aber auflängere Sicht auf Eis. Eine freihändige Anwendung darin vermuteter neuer Regelungen ist nicht rechtens.

In beiden Fällen widerspricht das Handeln der Rechtslage. Öffentlich-rechtliche Entscheidungsträger sollten ihr Ermessen aber nicht gegen, sondern für ihre Klienten verwenden.

Mein Wunsch für Sie: Wehren Sie sich - und genießen Sie die kommende Sommerzeit!

Dr. Norbert Böttges

 

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