Ausgabe 06/2021
Liebe Leserinnen und Leser!
Die neue Notruf-App nora wurde nach ihrer Freischaltung und Veröffentlichung in den App-Stores binnen weniger Stunden Opfer ihres eigenen Erfolgs. Denn nora wurde schnell so oft heruntergeladen und in Betrieb genommen, dass die Leitungen der Notruf-Server in kurzer Zeit heiß liefen. Am Tag darauf sah sich das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen deshalb genötigt, die App wieder aus den Stores herauszunehmen. Wohlgemerkt: Der Nora-Notrufwar und ist weiterhin „online“ und nimmt ohne Einschränkungen Notrufe entgegen. Neuanwender erhalten die App allerdings vorerst nur auf einem Umweg: per Anfrage an den Support auf der Seite www.nora-notruf.de (siehe auch Seite 45).
Den Erfolg dürfen wir als Lohn der Mühe werten und den Machern der App von Herzen gratulieren. Auch dies ist eine Lektion, die wir im Zuge der Digitalisierung lernen müssen: Es bedarf offensichtlich besonderer Vorkehrungen, bevor man den Zugang zu einer App in einem so kritischen Umfeld nicht nur den ernsthaften Nutzern, sondern auch den Spielkindern dieser Welt ungefiltert über die Stores zur Verfügung stellen kann.
nora ist heute also die gute Nachricht. An schlechten haben wir leider gleich zwei. Offensichtlich finanzielle - und definitiv keine belastbaren rechtlichen - Aspekte haben einige Krankenkassen veranlasst, in diesem Jahr die Zügel bei der Kostenübernahme der Hörversorgung empfindlich anzuziehen. So lehnen neuerdings zwei Ersatzkassen (betroffen sind rund 7,2 Millionen Versicherte) die Folgeversorgung mit Hörsystemen nach sechs Jahren regelmäßig ab. Sechs Jahre - das entspricht drei technischen Hörgerätegenerationen. Eine Folgeversorgung bietet den Versicherten die Möglichkeit, in gewissen Abständen der Entwicklung der Hörgerätetechnik zu folgen. Der Versorgungszeitraum von sechs Jahren hat seine Grundlage in der Hilfsmittel-Richtlinie und war bisher - und ist sie auch bei allen anderen Kassen weiterhin - unstrittig (siehe Seite 33).
Andere mussten in den vergangenen Monaten erleben, wie ihnen der Ersatz verlorengegangener Hörsysteme verwehrt wurde. Trotz Sorgfalt und Vorsicht ist es vermehrt passiert, dass beim Aufsetzen und Abnehmen des Mund-Nasenschutzes Hörgeräte verlorengingen. Für den Ersatz - rechtlich ist das eindeutig - kommen die Krankenkassen auf (siehe Seite 44 sowie „Spektrum Hören“ 5/2021)). Einige Kassen meinten jetzt, auf rustikale Art die Notbremse ziehen zu müssen. So meldete eine Kasse ihrem verdutzten Kunden knapp: „Wir als Krankenkasse haben Ihre Hörminderung am (Datum) mit einer Hörgeräteversorgung ausgeglichen und können Ihren persönlich verursachten Verlust nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft ersetzen.” Andere Versicherte erhielten Fragebögen mit inquisitorisch anmutenden Fragen, wie es denn zu diesem Verlust habe kommen können, hier müsse doch grobe Fahrlässigkeit im Spiel gewesen sein.
Beide „Neuerungen“ widersprechen der Rechtslage. Näheres hierzu finden Sie auf den genannten Seiten in diesem Heft von „Spektrum Hören“ Es ist nicht schön, sagen zu müssen: In beiden Fällen werden Versicherte ihren Anspruch nur über den Weg des Widerspruchs und einer anschließenden Klage vor dem Sozialgericht durchsetzen können. Aber gut zu wissen: Die meisten Krankenkassen folgen diesen Abwegen nicht. (Es gibt sie also, die Unterschiede. Und: Man kann seine Kasse auch wechseln. Im Internet finden sich dafür leichtgängige Anleitungen ...)
Freuen Sie sich, und wehren Sie sich - je nachdem, in welcherLage Sie sich gerade befinden!
Norbert Böttges
Neues aus den Verbänden
- Abenteuer Hören
Die Selbsthilfetage 2021 des Deutschen Schwerhörigenbundes (DSB) vom 23. bis 26. September 2021 im Bremer Bürgerzentrum Vahr standen in diesem Jahr unter dem Motto „Abenteuer Hören!“ Der Verein Hörgeschädigte Bremen und Bremerhaven (HBB) e. V. - seit der vorigen DSB-Bundesversammlung in Hamburg jüngstes Mitglied in der DSB-Familie - bot ein dichtes Vortrags- und Podiumsprogramm und dazu ein kulturelles Begleitprogramm in der Stadt der Bremer Stadtmusikanten.
Teilhabe/Rehabilitation
- Probleme bei der Wiederversorgung mit Hörgeräten
Im Rahmen seiner Beratungsarbeit werden dem Deutschen Schwerhörigenbund (DSB) seit etwa einem halben Jahr Fälle bekannt, in denen zwei Krankenkassen die Wiederversorgung mit Hörhilfen nach Ablauf von sechs Jahren regelmäßig ablehnen. Sie brechen damit mit der bisherigen Praxis und verstoßen nach Auffassung des DSB auch gegen die Rechtslage. Der DSB hat die betroffenen Krankenkassen deshalb um eine Stellungnahme gebeten - und von ihnen auch erhalten.
- Ein Kino für alle - Anforderungen schwerhöriger und ertaubter Menschen an barrierefreie Kinos
Alles wird smart. Deshalb empfinden viele Verantwortliche für Bauprojekte den Druck, jetzt und sofort handeln zu müssen. Zugleich herrscht eine große Unsicherheit, was für die Barrierefreiheit von öffentlichen Räumen im Einzelfall zu tun ist. Cornelia Zolghadri, Beraterin im Fachbereich Hochbau aus dem Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg, ist der Frage konkret für das Thema der Hörbarrierefreiheit nachgegangen. Dabei hat sie sich mit Klaus Mourgues, Vorsitzender vom Bund der Schwerhörigen e.V. Hamburg (BdS), ausgetauscht. Thema des Gesprächs: das „perfekte Kino von morgen“.
- Brandalarm auf Schloss Gültstein
Ein Pantomime-Workshop auf Schloss Gültstein mit Josef Michael Kreuzer, bekannt unter seinem Künstlernamen JOMI, führte jetzt zum „Ernstfall“. Bei einem Brandalarm mussten die hörbeeinträchtigten Teilnehmer unfreiwillig feststellen, dass sie in der als „barrierefrei“ zertifizierten Tagungsstätte im Falle eines Falles schutzlos dastehen.
Stefan Heidland berichtet von dem Vorfall.
- Deutsche Schriftübersetzung in Video-Veranstaltungen
Ob in Präsenz oder bei digitalen Treffen - Schriftdolmetscher sind unabdingbare Voraussetzung für eine zuverlässige Übersetzung des gesprochenen Wortes in Schrift! Nicht immer und für jede Gelegenheit lässt sich eine solche Unterstützung aber realisieren. Für weniger kritische Einsätze gibt es inzwischen brauchbare Verfahren, die sich der automatischen Spracherkennung bedienen.
Bestellformular Spektrum Hören (ausfüllbares PDF).