Ausgabe 02/2022
Liebe Leserinnen und Leser!
Als der Spitzenverband der Krankenkassen im Jahr 2012 neue Festbeträge für Hörgeräte bekanntgab, war das ein großer Schritt nach vorn. Mit der Festlegung neuer technischer Mindestanforderungen verschwanden viele veraltete Geräte aus dem Hilfsmittelverzeichnis und damit vom Markt. Gleichzeitig wurde der pauschale Erstattungsbetrag (Festbetrag) für eine Hörversorgung nahezu verdoppelt. Das taten die Krankenkassen damals nicht aus freien Stücken. Zu diesem Schritt waren sie durch ein Urteil des Bundessozialgerichts gezwungen, welches drei Jahre zuvor den gesetzlich Versicherten den Anspruch auf einen „bestmöglichen Hörausgleich entsprechend dem aktuellen Stand der Medizintechnik” zusprach. Und vorsichtshalber hatte das Gericht gleich auch einen Rahmen für die technischen Mindestanforderungen vorgegeben. Die neue Regelung bedeutete für die Versicherten seinerzeit eine sprunghaft bessere Hörversorgung im unteren Preissegment.
Ein solcher großer Schritt nach vorn bleibt den Versicherten diesmal verwehrt. Fast zehn Jahre nach der letzten Anpassung haben die Krankenkassen ihren Festbetrag jetzt faktisch unverändert gelassen. Die Erhöhung - zwischen vier und neun Prozent - reicht nicht einmal, um die Entwicklung der Löhne in diesen zehn Jahren auszugleichen. Bedenklicher - und wesentlicher Hinderungsgrund für eine qualitative Verbesserung der Hörversorgung - ist aber, dass die technischen Anforderungen an die Ausstattung der Geräte nur in homöopathischer Dosis angehoben wurden.
Aufzahlungsfreie„Kassengeräte” werden also auch in Zukunft keine besseren technischen Eigenschaften mitbringen als im Jahr 2012. Als habe seitdem die technische Entwicklung stillgestanden.
lm Anhörungsverfahren hat der Deutsche Schwerhörigenbund mit den sprichwörtlichen Engelszungen um eine Anhebung des technischen Standards gerungen. Er hat dargestellt, dass kein Hersteller heute mehr ernstzunehmend an Geräten mit 4- oder 6-Kanal-Standard arbeitet. Dass dieses Low-End-Marktsegment nur noch aufrechtgehalten wird, um den Kassenstandard weiterhin abzubilden und das Sortiment damit nach unten abzugrenzen. Dass die Krankenkassen so den technischen Standard für eine aufzahlungsfreie Hörversorgung ungewollt selbst niedrig halten. Auch haben wir ausführlich und im Einzelnen hergeleitet, dass die neuen Hörgerätetechnologien mehr oder weniger ausnahmslos gut bekannte biologische Funktionen des Hörens nachbilden und damit die verlorene natürliche Hörfähigkeit des geschädigten Ohres wieder herstellen. Dass diese Eigenschaften folglich keineswegs als für den Hörausgleich irrelevanter„Komfort” abzutun sind.
Alles vergeblich. Am Ende entscheidet der Spitzenverband in eigener Verantwortung. Bei der Gegenargumentation fühlte ich mich zuweilen an das Gedicht „Dunkel war's, der Mond schien helle erinnert. Sprache ist ja so geduldig. Mit Worten kann man wunderbar und in glatten Sätzen widersprüchliche Dinge miteinander grammatisch einwandfrei verbinden. Am Ende muss man dann erkennen: Es ist schlicht nicht gewollt.
Wir berichten in dieser Ausgabe auf Seite 19 über das Ergebnis der neuen Festbetragsregelung, geben dabei aber auch einige für die Betroffenen hilfreiche Erkenntnisse aus der Anhörung weiter. In einem zweiten Beitrag auf Seite 24 eröffnen wir mit der (Wieder-)Vorstellung des APHAB-Fragebogens eine neue Runde um die Begründung von objektiven Gebrauchsvorteilen von Hörsystemen. Denn die wird es künftig noch mehr brauchen, um den Rechtsanspruch durchzusetzen. Das Ganze ist sehr ärgerlich. Deshalb: Hoffen wir auf bessere Zeiten - dereinst!
Norbert Böttges
Aus den Verbänden
- DSB-Präsident trifft Botschafter von Australien
Australien ist eines der Geburts- und Starnrnländer des Cochlea-Implantats (CI). So lag es nahe, dass sich der Präsident des Deutschen Schwerhörigenbundes (DSB), Dr. Matthias Muller; zu einem Gespräch mit dem neuen australischen Botschafter in Deutschland, Philip Green, verabredete.
- Save the date
DSB-Selbsthilfetage in Frankfurt/Oder
Die Selbsthilfetage des Deutschen Schwerhörigenbundes (DSB) finden 2022 in Frankfurt an der Oder statt. Die östliche deutsche Grenzstadt ist die Verbindungsstadt zum Nachbarland Polen mit der sprichwörtlichen Stadtbrucke uber die Oder zum polnischen Stadtzwilling Slubice, Geburtsstadt von Heinrich von Kleist, Friedensstadt mit Friedenskirche und Friedensglocke, Universitätsstadt, Stadt der Backsteingebaude, der Marienkirche und des Oderturms. Es gibt also viele gute Grunde, sich vom 9. bis zum 11. September auf den Weg zum östlicheren der beiden deutschen Frankfurts zu machen. Denn an diesem Datum kommen die DSB-Selbsthilfetage noch dazu.
Teilhabe/Rehabilitation
- Neue Festbeträge - treten auf der Stelle
Zehn Jahre nach der letzten Anpassung hat der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) jetzt die Festbeträge für Hörgeräte neu festgelegt. Damit hat er sich fünf Jahre länger Zeit gelassen, als er sich eigentlich für die Überprüfung vorgenommen hatte. Im Ergebnis hat sich nichts Entscheidendes getan. Trotzdem lohnt sich ein Blick auf die Einzelheiten der Kalkulation, denn hier ergeben sich für die Betroffenen einige wichtige Erkenntnisse.
- Notruf-App nora - seien Sie dabei!
Gut Ding will Weile haben. Als die lang ersehnte barrierefreie Notruf-App nora im vorigen September endlich an den Start ging, gab es zunächst einige technische Schwierigkeiten. Das hat manche davon abgehalten, sich mit nora zu beschäftigen oder gar
anzufreunden. Die Schwierigkeiten gehören aber mittlerweile der Vergangenheit an. Zeit also, anlässlich des europäischen Tags des Notrufs am 12.02.2022, einen neuen Anlauf zu nehmen für Download, Einrichtung und erste testweise Inbetriebnahme.
- APHAB-Fragebogen: Ein verlorener Schatz wird neu gehoben
Die Messung des Sprachverstehens mit dem hierzu allgemein verwendeten Freiburger Einsilbertest hat wenig Aussagekraft für den Hörerfolg im Alltag. Zu eindimensional und realitätsfremd ist die Hörsituation. Schon 1995 wurde deshalb ein Verfahren entwickelt, in dem systematisch Alltagssituationen und die dabei erfahrene Hörminderung in einem mathematisch nachvollziehbaren Rechengang bewertet werden. Leider geriet in Vergessenheit, dass dieser „APHAB-Fragebogen“ unterm Strich eine eindeutige prozentuale Maßzahlfür den Erfolg einer Hörversorgung - oder auchfür den Unterschied zweier Versorgungsalternativen - liefert. Im Dauerstreit um den Nachweis audiologischer Unterschiede einer Hörsystemversorgung im praktischen Alltag wird es deshalb Zeit, diesen Schatz neu zu heben.
- Einladung
Folgetreffen schwerhöriger Lehrkräfte
Fast drei Jahre ist es her; dass sich eine Gruppe hörgeschädigter Lehrerinnen und Lehrer aus verschiedenen Gegenden Deutschlands in Köln zum Austausch traf Nun ist es endlich soweit: Am 1. und 2. April findet das Folgetreffen statt- diesmal in Würzburg.
Termine/Veranstaltungen
- DSB auf Altenpflege-Messe in Essen
Erstmals wird die „ALTENPFLEGE“-Messe in diesem Jahr in der Ruhrmetropole Essen ausgerichtet. Vom 26. bis zum 28. April wird sie wieder Deutschlands wichtigster Treffpunkt der Pflegebranche sein. In den drei Tagen erwartet die Messe rund 28 000 Besucher. Mit von der Partie ist auch der Deutsche Schwerhörigenbund (DSB).
Bestellformular Spektrum Hören (ausfüllbares PDF).