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Deutscher Schwerhörigenbund e. V.

DVfR Positionen zur Bundestagswahl veröffentlicht

Teilhabe sichern im Sozialstaat – Rehabilitation stärken!

Die Gesellschaft entwickelt sich rasch weiter. Insbesondere durch die demografische Entwicklung, technische Fortschritte, Digitalisierung und Klimawandel entstehen enorme Herausforderungen. Wie gerade auch die Herausforderungen der Corona-Pandemie gezeigt haben, ist es für den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft mitentscheidend, ob alle Bürgerinnen und Bürger umfassend und gleichberechtigt teilhaben können. Dazu sind u. a. Gesundheitsversorgung, Pflege, Bildung und Erziehung, das Arbeits- und das soziale Leben an der Sicherung der Teilhabe und dem Ziel der Inklusion aller Beteiligten im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) auszurichten.

Rehabilitation ist als System und als handlungsleitendes Prinzip maßgeblich an der Teilhabesicherung und deren Entwicklung beteiligt. Dazu gehören nicht nur Leistungen durch Dienste und Einrichtungen der Rehabilitation selbst, z. B. durch ambulante Angebote, in Rehabilitationskliniken, Berufsbildungs- oder Berufsförderungswerken oder anderen Rehabilitationsdiensten und -einrichtungen. Vielmehr können auch weitere Bereiche, wie z. B. die Heil- und Hilfsmittelversorgung, die frühkindliche Entwicklungsförderung, eine inklusive Bildung oder die Pflege wesentlich zur Erreichung der Teilhabe über die gesamte Lebensspanne beitragen, wenn sie am Prinzip der Teilhabesicherung orientiert sind.

Die DVfR als übergreifender Fachverband für Akteure in der Rehabilitation setzt sich deshalb für die kommende Legislaturperiode dafür ein, dass

  • die Folgen der Corona-Pandemie im Hinblick auf die Teilhabesicherung und deren Weiter-entwicklung in einem breiten Diskurs umfassend und sektorenübergreifend aufgearbeitet werden, um das System der Teilhabesicherung möglichst pandemiefest zu machen und vor-beugend Maßnahmen ergreifen zu können, um die Teilhabesicherung bei Ausbruch einer Pandemie besser zu gewährleisten,
  • das Prinzip des Disability Mainstreaming im Sinne der UN-BRK konsequent in allen Politik-bereichen verfolgt wird,
  • Barrierefreiheit umfassend in allen Lebensbereichen sowohl im öffentlichen Raum als auch im Bereich der Wirtschaft umgesetzt wird,
  • die Entwicklung rehabilitativ und assistiv wirkender Technologien nachhaltig gefördert wird,
  • die Digitalisierung gefördert (Digitalpakt für Rehabilitation) und so gestaltet wird, dass auch Menschen mit Behinderungen davon tatsächlich profitieren können (Barrierefreiheit, Aus-stattung, Medienkompetenz) und zugleich für diejenigen, denen das nicht möglich ist, weiterhin analoge Kommunikations-, Lern- und Arbeitsformen erhalten bleiben,
  • soziale Ungleichheit, von der gerade auch Menschen mit Behinderungen, chronischen Krank-heiten oder Pflegebedarf betroffen sein können, als Exklusionsrisiko konsequent bekämpft wird,
  • die sich u. a. als Folge der Corona-Pandemie vielfach erwartete Verknappung von Ressourcen nicht zu Lasten von Menschen mit (chronischen) Krankheiten, (drohenden) Behinderungen und Pflegebedürftigkeit auswirkt und Mittel zur Förderung und dem Erhalt der Teilhabe bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt und keinesfalls reduziert werden,
  • das Bundesteilhabegesetz (BTHG) umfassend umgesetzt und das SGB IX bedarfsgerecht weiterentwickelt wird.

Konkret setzt sich DVfR für die kommende Legislaturperiode daher für eine Stärkung der Reha-
bilitation und der Teilhabesicherung und deren Weiterentwicklung ein. Dazu gehören aktuell ins-
besondere:

  1. Zielgruppenspezifische Teilhabeförderung für Menschen mit Post-Covid-Syndrom durch bedarfsgerechte, ggf. angepasste Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,
  2. Gestaltung von Bildung und Erziehung sowie der Anforderungen am Arbeitsplatz (einschließlich betrieblicher Eingliederungsmaßnahmen) für Menschen mit Post-Covid-Syndrom unter Berück-sichtigung vorhandener Langzeitfolgen, nicht nur körperlicher Art, sondern insbesondere auch von neuropsychologischen Beeinträchtigungen (Fatigue, Konzentrationsfähigkeit etc.),
  3. umfassende, ganzheitliche und nicht nur auf den Wissenserwerb fokussierte Förderung von Kindern und Jugendlichen mit pandemiebedingten Lern- und Entwicklungsbeeinträchtigungen auch ohne Behindertenstatus sowie Verstärkung der Anstrengungen für ein inklusives Bildungs-system, das die Teilhabechancen für Kinder mit chronischen Krankheiten und Behinderungen sowie mit sozialen Benachteiligungen verbessert. Hierbei ist auch die Möglichkeit der Öffnung von Lernorten für Kinder und Jugendliche mit Behinderung und für junge Menschen ohne entsprechende Beeinträchtigungen in Betracht zu ziehen,
  4. Verstärkung der Teilhabeorientierung bei der Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (z. B. bei der Heil- und Hilfsmittelversorgung) und der Pflege. Weiterentwicklung spezifischer Angebote wie Frühförderung, Sozialpädiatrischer Zentren (SPZ), der Medizinischen Zentren für erwachsene Menschen mit Behinderungen (MZEB) sowie der gemeindenahen Psychiatrie (Umsetzung der Erkenntnisse aus dem Psychiatriedialog),
  5. Erweiterung der Möglichkeiten zur Assistenz im Krankenhaus für Menschen mit Behinderungen, die dort einen besonderen Unterstützungsbedarf aufweisen, für eine entsprechende Assistenz in Rehabilitationseinrichtungen sowie im Krankenhaus für Eltern schwerstkranker Kinder, bei denen die Voraussetzung einer wesentlichen Behinderung im Sinne des § 99 SGB IX (noch) nicht gegeben ist,
  6. Professionalisierung und verstärkte Teilhabeorientierung in der Ausbildung zu Gesundheits-fachberufen, auch im Hinblick auf deren interdisziplinäre wie interprofessionelle Zusammen-arbeit, sowie die Ermöglichung einer Anerkennung der Qualifikation Heilerziehungspflege als Pflegefachkraft,
  7. bedarfsgerechter Aus- und Umbau der Angebote der medizinischen und medizinisch-beruflichen Rehabilitation (einschließlich der Frührehabilitation und zugehender Rehabilitationsangebote) unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung und der Entwicklung der Morbidität, u. a. für alte oder pflegebedürftige Menschen und Menschen mit Behinderungen, Menschen mit psychischen Erkrankungen einschließlich schwer psychisch Kranker, Menschen mit intensiv-pflegerischem Bedarf,
  8. Verstärkung der Teilhabeorientierung in der Kurzzeit- und Langzeitpflege sowie die Etablierung eines Angebots der Nachtpflege,
  9. Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderungen, insbesondere durch Stärkung der beruflichen Rehabilitation, Ausbau des Budgets für Ausbildung und Arbeit, Erhöhung der Ausgleichsabgabe und barrierefreie Arbeitsplätze, Vernetzung von Angebotsträgern der beruflichen Rehabilitation im Sozialraum,
  10. weiteres Bemühen um zielgerichtete Umsetzung des BTHG, insbesondere in Bezug auf umfassende Bedarfsermittlung auf der Grundlage des bio-psycho-sozialen Modells unter besonderer Berücksichtigung der Gesundheitssorge, verstärkte Nutzung (trägerübergreifender) Persönlicher Budgets, Weiterentwicklung qualifizierter Angebote an ambulanten, aber auch an besonderen Wohnformen sowie für die Unterstützung der Angehörigen und Familien von Menschen mit Behinderungen, chronischen Krankheiten und Pflegebedürftigkeit,
  11. Barrierefreiheit und verstärkte ökologische Orientierung in allen Einrichtungen und Diensten der Gesundheitsversorgung sowie der medizinischen und beruflichen Rehabilitation,
  12. Förderung der Rehabilitations- und Teilhabeforschung sowie Sicherstellung von Forschung und Lehre durch entsprechende Lehrstühle u. a. an den medizinischen und sozialwissenschaftlichen Fakultäten sowie Sicherstellung einer flächendeckenden rehabilitationsrechtlichen Qualifizierung im Bereich der Sozialen Arbeit,
  13. bedarfsgerechte Gestaltung und Finanzierung der Rahmenbedingungen für die Arbeit von Fachkräften, die in der Rehabilitation tätig sind oder im Sozialsystem an der Ermöglichung und Förderung der Teilhabe mitwirken, und zur Umsetzung einer verstärkten ökologischen Orientierung,
  14. Förderung nationaler und regionaler sozialer Netzwerke zur Förderung der Teilhabe, u. a. durch Etablierung fester Netzwerkstrukturen unter Berücksichtigung zielgruppenspezifischer Bedarfe, z. B. von Kindern mit (drohenden) Behinderungen, Menschen mit erworbenen Schädigungen des Zentralnervensystems oder mit psychischen Erkrankungen.

Damit können nachhaltige Beiträge zur Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen geleistet werden. Ziel ist es auch, die Teilhabesicherungssysteme pandemiefest zu machen.

Deshalb wollen wir die politischen Parteien dafür gewinnen, die Förderung und Weiterentwicklung der Teilhabe von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der kommenden Legislaturperiode nachhaltig zu unterstützen und das System der Rehabilitation bedarfsgerecht weiterzuentwickeln.


Dr. med. Matthias Schmidt-Ohlemann
Vorsitzender der DVfR