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Deutscher Schwerhörigenbund e. V.

Ausgabe 02/2024

Liebe Leserinnen und Leser,

„Tue recht und scheue niemand.“ Das soll der Wahlspruch meines Großvaters gewesen sein, und wenn ich meiner Mutter glauben darf, hat er sich auf mich vererbt. Jedenfalls ertappe ich mich in letzter Zeit des Öfteren dabei, wie ich bei bestimmten Themen ziemlich unmissverständliche Ansichten äußere, wo man doch viel mehr diplomatische Abwägung, begriffliche Relativierung und vorsichtige Zurückhaltung erwarten würde. So ist es mir in diesen Tagen mit der Staatenprüfung Deutschlands hinsichtlich der Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) gegangen, über die ich in dieser Ausgabe ab Seite 27 berichte. Im Lauf der Auseinandersetzung mit dem Thema kam es mir irgendwann vor, dass es sich bei der UN-BRK auch um eins jener Vertragswerke (Konventionen ...) handelt, die man unterzeichnet, weil man meint, nicht anders zu können, aber nicht wirklich vorhat, sie einzuhalten. Und das von Anfang an und in zentralen Punkten.

Um die UN-BRK hat sich schnell ein üppiges Geflecht von Gremien, Gutachten, Aktionsplänen und Evaluationen gebildet. Auch wir Selbsthilfeverbände nehmen daran teil (‚partizipieren‘). Alle Sitzungen, Tagungen, Podien und Diskussionen kommen aber offenbar an den harten Widerständen nicht vorbei, die sich der Idee einer einfachen, echten Inklusion entgegenstellen - seien es institutionelle Interessen, ästhetische Empfindungen, tiefe inkompatible Überzeugungen, Kostengründe oder auch (darf ich sagen: „nur”?) der Denkmalschutz. Wenn man das über die vergangenen zehn Jahre beobachtet und begleitet hat, muss man sich irgendwann die Frage stellen, in welcher Form und mit welchem realistischen Ziel man sich an diesem Prozess fortan beteiligen will.

Vielleicht ist es ja aber auch nur die Ungeduld des Alters. Irgendwann möchte ich in meinem Leben einfach noch etwas von dem erleben, wofür ich mich einsetze. Zum Beispiel ein inklusives Schulwesen. Oder Gebäude und Veranstaltungen, die nicht nur im Ausnahmefall („Leuchtturmprojekte) hörbarrierefrei sind. Seit ich meinen persönlichen Lebenshorizont auf das Jahr 2050 ausgeweitet habe (tun Sie das auch einmal - das gibt erstaunliche Perspektiven ...), darf ich da ja noch einiges erwarten. Aber tatsächlich bei der Inklusion? Vielleicht wird es aber auch ein Beispiel für meine persönliche Lernkurve: Erkenntnis durch Irrtum. Lehne dich mit klaren Aussagen aus dem Fenster und höre dir an, was an Widerspruch kommt. Bei guten Gegenargumenten kann ich meine Meinung in wenigen Minuten ändern. Oder mich holt die Realität ein und zeigt mir, dass ich falsch lag. Beides sollte mich freuen. Denn das wäre eine typische Win-win-Situation: Für uns alle, dass wir es doch noch zu einer klaren, schlichten Inklusion von Menschen mit Behinderungen schaffen. Und für mich selbst -dass ich es dann besser weiß.

Ihr Norbert Böttges

 

Neues aus den Verbänden

  • Kulturtage der Schwerhörigen in Thüringen

Der DSB-Landesverband Thüringen und Sachsen-Anhalt in Mitteldeutschland lud im November 2023 zu einem besonderen Event ein: An drei Tagen trafen sich im Weimarer „Haus des Miteinander Hörens“ eine große Zahl Mitglieder aus den Selbsthilfegruppen des Landesverbands, des Ortsvereins Weimar und aus dem Kyffhäuserkreis zu den Kulturtagen der Schwerhörigen in Thüringen.

  • Dr. Claus Harmsen gestorben

Claus Harmsen, promovierter Jurist und selbst schwerhörig, war ein umtriebiger und engagierter Mensch und als solcher in vielen Funktionen der Selbsthilfe tätig, unter anderem von 1987 bis 1995 als Präsident des Deutschen Schwerhörigenbundes. Am 08. Januar 2024 ist er im Alter von 76 Jahren gestorben.

Teilhabe/Rehabilitation

Notfallalarm: Mustervorgehen für Kostenübernahme

Der bundesweite Probealarm für den Notfall im vorigen September hat vielen Menschen mit Höreinschränkungen eine Lücke in ihrer hauseigenen Signalanlage bewusst gemacht. Denn Sirenen und Alarmierung via Nina- oder KATWARN-App oder Cell Broadcast erreichen sie nicht, wenn sie nachts schlafen und ihre Hörversorgung im Trockengerät oder der Ladeschale liegt. Mit den technischen Abhilfen haben wir uns bereits bei früherer Gelegenheit beschäftigt (siehe „Spektrum Hören“ 6/2021, S. 26; 5/2022, S. 17ff und 35 und 6/2023, S. 21). Heute soll es um die Kostenübernahme gehen.

  • Staatenprüfung zur UN-Behindertenrechtskonvention

Im Jahr 2009 hat Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ratifiziert. Manche behaupten, seitdem sei die UN-BRK geltendes Recht in Deutschland, andere sagen: „Im Prinzip ja, aber ...“ Bund, Länder, viele Kommunen und auch andere Organisationen haben seitdem zahlreiche  Aktionspläne zur Umsetzung der Ziele (oder Rechte?) der UN-BRK aufgestellt, Maßnahmen beschlossen und auch umgesetzt. Dennoch fielen die Prüfungen der Umsetzung der UN-Konvention - die erste war
2015, die zweite 2023 - schlecht, manche sagen verheerend, aus. Und das mit zunehmender Tendenz und im internationalen Vergleich. Läuft da etwas schief in Deutschland? Und wenn ja, was?

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