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Deutscher Schwerhörigenbund e. V.

Wer nicht hören kann muss (ab-)sehen

Vorworte

Gern entspricht der Verfasser der Bitte des DSB e.V., die folgenden Übungen zum Erlernen bzw. Vertiefen der Kenntnisse des Absehens vom Munde ins Internet stellen zu lassen.

Was bedeutet "Absehen vom Munde?" Im Französischen sagt man "Lire sur les lèvres", und die Engländer sagen "Lipreading". Beides bedeutet "Lippenlesen".

Hörbehinderte müssen sich auf die Kunst verstehen, die Worte der Gesprächspartner von den Lippen abzulesen. Aber was gibt es eigentlich beim Sprechen auf den Lippen zu lesen? Nicht viel. Allenfalls die Laute, die von den Lippen gebildet werden und vielleicht auch die Laute, die durch auffallende Kinnbewegungen zu erkennen sind. Die Mehrzahl der gesprochenen Laute ist nicht zu erkennen. In diesen Fällen kommt man nicht umhin zu kombinieren.

Den Ertaubten (und Gehörlosen) stellt sich nicht nur das Problem, nicht zu verstehen, was ihnen vorgesprochen wird. Ein nicht weniger schwerwiegendes Problem ist, dass sie nicht oder nur unartikuliert sprechen können, weil ihnen die Kontrolle über das Sprechorgan fehlt. Sie hören ihre eigene Stimme nicht oder nur ganz schwach wie aus weiter Ferne oder überhaupt nicht. Sie müssen also lernen, Zunge, Gaumen und Kinn so zu bewegen, dass Sprache, genauer gesagt Sprechen entsteht.

Dieser Herausforderung stellen sich die unter dem Titel "Wer nicht hören kann, muß (ab-)sehen" zusammen gestellten Übungen. Der Untertitel lautet: "Absehen für Schwerhörige und Ertaubte: die Brücke von Mensch zu Mensch". Es ist die einzige Möglichkeit ohne sprach-begleitende oder andere Gebärden, ohne Finger-Alphabet Unterhaltung zu pflegen, es sei denn, sie lassen sich alles aufschreiben. Das kann sehr lästig sein. So kommt es, dass sich viele Hörbehinderte zurückziehen.

"Es begreifen die gut Hörenden nie: die Qual und die Not der Ertaubten!"

Die folgenden Übungen sind ein Versuch, aus dieser Not heraus zu helfen. Allein gelassen wird dies den Hörbehinderten sehr schwer fallen. Sie sind sehr auf verständnisvolle Hilfe ihrer Umgebung angewiesen.

Sprechen Sie bitte langsam mit Hörbehinderten. Sie sehen sich gezwungen, "mit den Augen zu hören", wozu die Augen von Natur aus nicht geschaffen sind. Sprechen Sie bitte deutlich, und schauen Sie Ihre hörbehinderten Partner beim Sprechen an. Ihr Gesicht sollte dabei gut ausgeleuchtet sein. Man sollte also nie mit dem Rücken zum Fenster mit Hörbehinderten sprechen. Und - schreien Sie bitte nicht. Ertaubte hören Sie doch nicht. Zudem wirkt bei allzu lautem Sprechen das Gesicht verzerrt und führt dann leicht zu dem Missverständnis, dass man mit ihnen schimpfe.

Was zu den einzelnen Übungen zu sagen wäre, ist bereits gesagt. Sie kamen 1977 in erster und 1980 in zweiter Auflage in Buchform heraus. In der folgenden Anordnung, welche die Buchform verlässt, lässt sich die ursprüngliche Anordnung in der Form eines Buches nicht leugnen.

Dem Referat Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Schwerhörigenbundes gebührt an dieser Stelle aufrichtiger Dank. Seinen Mitarbeiterinnen ist es gelungen, in stundenlanger mühsamer Kleinarbeit die oft schwierigen Vorgaben, die so kompliziert scheinenden Kombinationsübungen, für die vor dem Spiegel oder vor der Video-Kamera das Absehen Übenden aufzuzeichnen.

Dem Anliegen dieser Übungsreihe kommt entgegen, dass diese Zeilen an dem Tag geschrieben wurden, an dem in vielen Kirchen in den Gottesdiensten das Evangelium, die Frohbotschaft, von der Heilung des Taubstummen oder wie es in einer wohl besseren Übersetzung heißt: von der Heilung des Tauben und nur mit schwerer Zunge Redenden verkündet wurde.

Jesus nahm ihn beiseite und sprach das erlösende Wort "Hephata", öffne dich!

So mögen denn die folgenden Übungen den um das Verstehen Ringenden und um gutes Sprechen Bemühten eine Hilfe sein, sich der Herausforderung zu stellen, die in (fast) jedem Menschen verborgenen und brach liegenden Fähigkeiten zu wecken und zu vervollkommnen.

Br. W. Wagenbach

Vallendar - September 2003

Wir freuen uns sehr, dass Bruder Wagenbach sich entschieden hat, sein Werk für das Internet des Deutschen Schwerhörigenbundes freizugeben, um es der Nachwelt zu erhalten und eine weite Verbreitung zu erzielen. Unsere Internetseiten sind damit um eine Attraktion reicher und wir sind dankbar, möglichst vielen Betroffenen Bruder Wagenbachs Standardwerk anbieten zu können.

Für neu betroffene Hörbehinderte stellt Bruder Wagenbachs Werk eine spürbare Hilfe beim Erlernen des Absehens dar und erfreut sich nicht zuletzt deshalb großer Beliebtheit. Mit viel Sachkenntnis und Ausführlichkeit vermittelt er Grundlagen, Hintergründe und praktische Übungen. Immer wieder zwischengeschaltet spricht Bruder Wagenbach den Lernenden Mut zu und gibt Entspannungs-Tipps.

Auch guthörenden Angehörigen und interessierten Mitmenschen gibt sein Werk praktische Hinweise für die Gesprächsführung, die die Kommunikation verbessern. Die korrekte Stellung und Bewegung von Lippen, Zunge und Gaumen bei der Lautbildung ist für das Absehen von großer Bedeutung und verbessert die eigene Aussprache, sie wird klarer und verständlicher, eine Sprechschulung wird quasi mitgeliefert.

Wir hoffen, dass auf diesem Wege durch besseres Absehen und besseres Aussprechen viele und gute Gespräche geführt werden!

Dr. med. Harald Seidler
Präsident

Neunkirchen - September 2003

Der Deutsche Schwerhörigenbund begrüßt das Erscheinen dieses Buches und wünscht ihm eine große Verbreitung. Die Problematik des Abseherlernens und des Absehenlernens ist sehr vielschichtig und es gibt bis heute nur wenige Ansätze, die das allgemein verständlich zu Papier gebracht haben. Die nachfolgende Arbeit füllt auf diesem so lebenswichtigen Gebiet - die Hilfe, dem Mitmenschen ein Gesprächspartner sein zu können - eine spürbare Lücke aus. Viele unserer Schwerhörigen und Ertaubten werden nun in der Lage sein, nachdem sie in einigen Kursen die nötigen Grundkenntnisse erworben haben, sich zu Hause anhand des Buches in der Kunst des Absehens vervollständigen zu können. Möge sich diese Erwartung bestätigen.

G. Hinzmann

Hamburg - Juli 1977

3,5 bis 4 Millionen Menschen der Bundesrepublik Deutschland sind mehr oder weniger schwerhörig. Von ihnen tragen 1 Million ein Hörgerät mit unterschiedlichem Erfolg. 40.000 Erwachsene und 5.000 Jugendliche im schulpflichtigen Alter sind völlig ertaubt und auf das Absehen angewiesen.

Diesem Personenkreis zu helfen ist das Anliegen des hier vorliegenden Buches. Herr Wagenbach - selbst hochgradig schwerhörig und Hörgeräteträger - hat als erfahrener Abseh-Lehrer die ihm zugänglichen Abseh-Methoden zusammengefasst und mit klaren einprägsamen Bildern zusammengestellt. Auf diese Art und Weise ist es den Hörgeschädigten und Ertaubten möglich, wieder Kontakt mit der Umwelt aufzunehmen, ohne das gesprochene Wort zu hören.

In den letzten Jahren sind die modernen hörverbessernden und hörerhaltenden mikrochirurgischen Operationen im Ohr zu einer großen Vollkommenheit praktiziert worden. Die technische Entwicklung modernster kleiner und sehr leistungsfähiger Hörgeräte wurde zur Hilfe für eine große Zahl Schwerhöriger. Jeder HNO-Arzt wird aber dankbar sein, wenn er seine ertaubten oder schwerhörigen Patienten, bei denen eine hörverbessernde Operation nicht in Frage kommt und bei denen die Versorgung mit einem Hörgerät gegebenenfalls durch das Mundablesen unterstützt werden muß, auf dieses wichtige Buch hinweisen kann. Es schließt eine bisher empfindliche Lücke.

Ich hoffe, dass das Studium dieses Buches vielen Hörgestörten wieder zur Kommunikation mit den hörenden Mitmenschen verhilft. Ein erfolgreiches Absehen ist aber nur dann möglich, wenn auch der normalhörende Partner davon weiß und sich dann absehgerecht verhält.

Prof. Dr. med K.-H. Hahlbrock
Leiter der Sektion Hören

Die Zahl der Hörgeschädigten wächst, so sagen uns die Statistiken. Wie aber finden sich der Schwerhörige und der Ertaubte in ihrer Umgebung zurecht?

Schwerhörigkeit und Ertaubtheit sind nicht in jedem Falle eine Krankheit. Aber sie sind ein Mangel, der tief in das Leben der Betroffenen eingreift. Er wird umso härter empfunden, je besser das Hörvermögen in früheren Jahren war. Mit dem teilweisen oder völligen Verlust des Gehörs ändert sich vieles im Leben des Betroffenen. Es wird ihm anfangs schwer fallen, dem Selbsterhaltungstrieb folgend, neue Formen für seine Lebensweise zu finden.

Dieses Buch will eine Hilfe anbieten, das Leben auch ohne Geräuschempfinden zu meistern. Es erhebt nicht den Anspruch, einen Lehrkursus unter Leitung eines erfahrenen Lehrers zu ersetzen. Aber es will die mühsame Arbeit des Abseh-Lehrers unterstützen, indem es anregt sich weiter zu bilden in der Kunst, das gesprochene Wort vom Mund abzulesen.

Bewährte Abseh-Methoden vergangener Jahre werden in diesem Buch neu aufgegriffen und mit den neuesten Lehrmethoden verbunden.

Erste Anregungen zu diesem Buch entstanden bei einem Absehkurs unter Leitung von Herrn Taubstummen-Oberlehrer G. Hornung, der diese Arbeit mit seinem Wohlwollen und seiner langjährigen Erfahrung unterstützte. Hierfür gilt ihm mein aufrichtiger Dank.

Auf der Grundlage vieler Lehrbücher über das Absehen vom Mund, entstand zunächst eine Übungsmappe, die bei einem Abseh-Seminar erstmals vorgelegt wurde. Diese Übungsmappe fand gute Aufnahme, sodass schon bald der Wunsch aufkam, den in der Mappe zusammen getragenen Übungsstoff zu überarbeiten und ihn in einem Buch einem möglichst weitem Kreis zugänglich zu machen.

Der Ortsverein Koblenz des Deutschen Schwerhörigen Bundes übernahm die Herstellung. Mit großem Eifer sorgte die Vorsitzende des Koblenzer Schwerhörigenvereins, Frau Hilgert-Becker, für das Bekanntwerden des Buches in der Öffentlichkeit.

Mein Dank gilt an dieser Stelle auch Herrn Pallottiner-Pater Dr. Paul Eisenkopf SAC, der mit viel Geduld und gutem Einfühlungsvermögen in lange Zeit dauernden täglichen gemeinsamen Abseh-Übungen zum Entstehen dieses Buches wesentlich mit beitrug und ebenso Herrn Prof. Dr. med. Hahlbrock für sein förderndes Interesse.

Mit dem Dank an den Bundesvorsitzenden des Deutschen Schwerhörigenbundes, Herrn Hinzmann, für die wohlwollende Aufnahme dieses Buches verbinde ich meinen nachträglichen Dank an seinen verstorbenen Vorgänger, Herrn Friedmann. Herr Friedmann zeigte nicht nur lebhaftes Interesse am Entstehen dieser Arbeit, sondern stellte auch Literatur zur Verfügung und gab wertvolle Hinweise. Nicht unerwähnt lassen möchte ich aber auch die vorzügliche Unterstützung seitens einiger Mitglieder des Schweizer Schwerhörigenbundes, die mir bereitwillig Arbeitsunterlagen zur Verfügung stellten.

Nicht zuletzt gilt mein Dank dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, der diese Arbeit wohlwollend förderte und durch eine großzügige Spende die Veröffentlichung dieses Buches in der hier vorliegenden Gestaltung ermöglichte.

Dem Verlag Winter sei für die zahlreichen Bilder gedankt, die es dem Benutzer dieses Buches erlauben, auch allein das Absehen vom Mund zu üben.

Es ist unmöglich, alle Personen hier aufzuführen, die wissentlich oder unwissentlich zum Gelingen dieser Arbeit beitrugen. Ihnen allen gilt mein Dank, die Zeit und Geduld aufbringen, dem Hörbehinderten auf seinem beschwerlichen Lebensweg helfend zur Seite zu stehen.

Wenn dieses Buch dazu beiträgt, dem Hörbehinderten ein Wegweiser zu sein bei seinem ständigen Suchen nach lebensnahem menschlichen Kontakt, und wenn es dem Guthörenden das Verstehen der Schwierigkeiten der Hörbehinderten erleichtert, dann hat dieses Buch seinen Sinn und Zweck erfüllt.

BR. WILLIBALD WAGENBACH SAC

Vallendar - Juli 1977

Die Erstauflage dieses Abseh-Übungsbuches fand bei den Hörbehinderten im deutschen Sprachgebiet eine so gute Aufnahme, dass es angebracht erscheint, noch vor dem angekündigten 2. Band, der sich auf praktische Übungen in Gruppen beschränken soll, eine zweite Auflage herauszubringen. Bei den vielen Zuschriften überraschte die überwiegend positive Kritik. Eine zweite Auflage scheint aber nur dann sinnvoll zu sein, wenn alle diese Zuschriften - auch und vor allem die Hinweise auf Mängel - berücksichtigt werden.

Ich danke für die Hinweise aus den Reihen der hochgradig Schwerhörigen und Erlaubten. Die praktischen Erwägungen aus den Reihen der Gehörlosen ermutigten mich, das Abseh-Übungsbuch neu zu überarbeiten.

Doch auch die zweite Auflage wird trotz aller Mühe Mängel haben. Nicht jeder wird mit allem einverstanden sein. Das zu erwarten, wäre vermessen. Dennoch möchte ich auf die Herausgabe einer zweiten, neubearbeiteten Auflage nicht verzichten. Ein jeder Hörhehinderter wird beim Erlernen des Absehens seine eigenen Erfahrungen machen müssen. Allgemeingültiges gibt es da wenig. Die im Vorwort zur 1. Auflage ausgesprochenen Erwartungen, dass mit diesem Buch dem Hörbehinderten eine Hilfe angeboten werde zur Bewältigung des Alltages, haben sich zur Freude und Genugtuung aller, die zur Verbreitung dieses Buches beigetragen haben, erfüllt.

Sehr viel Mühe ließ sich Frau Hilgert-Becker beim Versand des Buches kosten. Dafür sei ihr und ihren Mitarbeitern aufrichtig gedankt. Herr Prof Hahlbrock ermunterte zur zweiten Auflage, deren Herausgabe wieder der Schwerhörigen-Verein Koblenz übernommen hat. Dank der finanziellen Unterstützung der Lions International sieht sich der Verein dieser schwierigen Aufgabe gewachsen. Nicht zuletzt sei auch dem Bayerischen Rundfunk gedankt für die Hinweise auf dieses Buch in der Fernsehsendung "Sehen statt hören".

Dass auch die zweite Auflage zur Ermutigung beiträgt, Enttäuschungen überwinden hilft und Verständnis weckt, wünscht allen Hörbehinderten

W. Wagenbach

Vallendar - Mai 1980